Der getarnte Künstler
Von Philipp Goll
Archi Galentz erscheint in Leinenhose, Weste und Hemd. Graubraun schimmert
sein Dreiteiler. Elegant ist er, der Künstler "sowjetischer" Herkunft.
Doch was sticht dort aus seinem Ausschnitt heraus? Es ist ein orangefarbenesT-Shirt
- farblich genau abgestimmt. Ist er also doch ein "Kreativer"? Einer,
der nicht nur durch bildimmanente Farbkomposition bestechen möchte? Ist
er ein: "Avantgardist"? Entschiedenes Nein. Denn in seiner Ausstellung
"USTA, has you got some ASTAR?" rechnet er mit dem Avantgardisten ab -
und nicht nur mit seinem Erscheinungsbild.
Archi Galentz wird im Jahre 1971 in Moskau geboren. Er wächst in einer
armenischen Künstlerfamilie auf. Was er erfährt, vom Leben der Großmutter
bis hin zum Leben seines Vaters, wird auch zu seiner Berufung - die hohe
Kunst zur Profession gemacht. Er studiert bildende Kunst an der staatlichen
Hochschule in Jerewan und macht sich 1991 auf den Weg in das gerade wiedervereinigte
Berlin, um an der UdK Kunst und Design zu studieren. Die Kontakte in seine
Heimat sind seitdem nicht abgebrochen. Seit 2001 ist er Mitglied in der
Moskauer Künstlervereinigung. Das nächste halbe Jahr wird er wieder in
Jerewan verbringen. Diesmal jedoch hinter dem Lehrerpult: Er hat an seiner
einstigen Universität einen Lehrauftrag angenommen.
Aus der Distanz heraus lässt sich bekanntlich vorzüglich beobachten.
Demgemäß tut es Archi Galentz mit der zeitgenössischen russischen Kunst.
Es ist ihm zuwider, dass der russische Kunstdiskurs stetig hilflos um
das negative Image Russlands kreisen muss, um nach außen hin authentisch
zu wirken. Zeitgenössische russische Künstler würden sich dem westlichen
Kunstmarkt gegenüber unterwürfig verhalten. Sie nützten ihre Nationalität
aus und verklärten das Klischee des "Russen", anstatt aufzuklären, was
in Russland tatsächlich passiert. Auf eine genauere Nachfrage antwortet
Galentz ernüchternd "der polarisierende, erfolgreiche Künstler beschränkt
sich darauf, den Russen aus stereotypischer Perspektive darzustellen;
er stellt den Russen als Untermenschen da, als jemanden, der unkultiviert,
grob und animalisch erscheint". Der Künstler, von dem er spricht, trägt
den Namen Oleg Kulik (hier nur als Beispiel genannt). Mitte der 90er Jahre
erregte er mit seinen animalischen Performances Aufsehen. Mit ihnen prononcierte
er noch das Klischee vom Russen. Demjenigen, der wie ein Hund auf dem
Boden herumkriechend bellt und beisst, dem wirft man schließlich gern
ein Stöckchen hin, um sich an dem "Hund" zu ergötzen. Oder Boris Michailovs
kritische sozialdokumentarische Fotografie könnte hier als weiteres Beispiel
genannt werden.
"Aber nicht nur in Russland operiert man mit den Mitteln der scheinbaren
ethnischen Attributen", fügt Galentz schnell hinzu, um seine Momentaufnahme
der zeitgenössischen Kunst in einen globaleren Kontext zu fassen. Er nennt
Norbert Biskys Bilder als Beispiel. Auf diesen sind meist goldblonde Buben,
beglückt mit blauäugigen Antlitzen und wohlgeformt kräftigen Körpern dargestellt.
Der Fall Arier als Sujet präsentiert. Den, von BILD als "neuer Beuys"
gekrönten Maler und Performancekünstler Jonathan Meese, der sich in seinen
Bildern diffus der martialischen Germanensymbolik bedient und sich dabei
irgendwo zwischen Parzifal und Hitler, in Performances, unter Titeln wie
"Aktion Blutgral" verirrt, lässt er in seiner Bestandsaufnahme ebenfalls
nicht fehlen. Auch Meese berufe sich auf den - jeglicher Liberalität und
Toleranz zum Trotz - bestens funktionierenden nationalen Stereotyp.
"Die alternative junge Kunst in Russland hat keine Lobby". Das ist eine
schmerzhafte Feststellung, die Archi Galentz nicht nur beobachtet, sondern
auch im eigenen Kunstschaffen thematisiert. Freilich geht es mit einem
fehlenden Binnenmarkt für die Kunstproduktion und mit einer fehlenden
Kunstdistribution konform. "Der kommerzielle Erfolg eines zeitgenössischen
Kunstwerks wird eher als gelungener Coup empfunden, und nicht als das
Resultat einer normalen Tätigkeit eines Künstlers, eines Kunsthändlers,
eines Galeristen", vernimmt man es aus den Reihen der Kunstkritiker. "Und
gerade junge unabhängige Kunst hat einen schweren Stand", bekennt Archi
Galentz missmutig. Nonkonformistische Kunst, die naturgemäß jenseits der
Forderungen des Marktes liege, könne sich nur schwer behaupten. Als er
im Winter 2004 in Moskau war, fand er eine entschieden andere Situation
vor, als die Medien im Westen kolportierten. Animiert von den sozialen
Veränderungen, schuf er eine Fotoserie, mit Motiven wie beispielsweise
Annoncen für Taxifahrer. "Taxifahrer gesucht, 1000 Dollar Monatsgehalt"
stand darauf. Für ihn ein völlig neues, hoch bedeutungsschwangeres Motiv:
ein neuer Arbeitsmarkt in Russland mit Angebot und Nachfrage, statt der
sonst scheinbar omnipräsenten Obdachlosen und Alkoholiker.
In seiner Ausstellung "USTA, has you got some ASTAR?" setzt er sich mit
der Geschichte des Avantgardisten auseinander. Dabei betrachtet er genauer
den, mit dem Avantgardisten (Vorhut) verwandten, in der Militärsprache
gleich bewerteten, im landläufigen Verständnis jedoch unterbewerteten
Arrieregardisten (fälschlicherweise als Nachhut deklariert). Dem Arrieregardisten
als Kämpfer kommt laut Galentz heutzutage eine wesentlich größere Bedeutung
zu. Denn er hat erstens größere Verantwortung zu tragen, was die Phase
des Rückzugs betrifft. Zweitens gelangte Galentz nach einer Untersuchung
von Angriffsstrategien bedeutender Feldherren zu dem Ergebnis, dass schlichte
Angriffskriege kaum Erfolg versprechend waren.
USTA-Formen, das sind verschiedene Garderoben. Meist sind es persönlich
von Archi Galentz beim Schneider USTA Levon in einem armenischen Schneideratelier
in Auftrag gegebene Einzelstücke. Mit diesen Anzügen möchte er in einem
anderen Licht erscheinen: als Person, die nicht sofort als Künstler enttarnt
werden kann. Ihm ist daran gelegen, es dem Arrieregardisten gleichzutun
und versteckt zu operieren. Davon verspricht er sich Macht, die üblicherweise
nur jenen Herren in den "grauen Anzügen" zukommt. Also den Herren, die
tatsächlich in grauen Anzügen hinter Schreibtischen sitzen und mit viel
Geld über wenig Kunst bestimmen. "ASTAR" (Innenfutter) geht auf eine Anekdote
zurück, nach der er den Schneider bat, ein anderes Innenfutter zu verwenden,
als das, welches er für die Anzüge seines Vaters verwendete. Vater versus
Sohn gleich einem Generationskonflikt? Mag so scheinen, stellt für Galentz
aber keine Motivation dar.
Seit 2002 stellt Archi Galentz im Prima Center im Wedding aus. Das Prima
Center Berlin wurde initiiert, um einen Ort "von Künstlern, für Künstler"
zu schaffen, eingebettet in die Künstlerkolonie Wedding. Hier kann sich
Galentz ganz ohne Restriktionen, mit denen er sich in staatlichen Institutionen
konfrontiert sähe, seinen Beobachtungen widmen, sowie auch künstlerisch
tätig sein. Und zwar im Diskurs einer Art "invisiblen", also arrieregardistischen
Kunst.
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