Archi Galentz USTA, has you got some ASTAR?

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USTA-Form Nr. 1

"Das Hemd ist eine No-Name Manufakturproduktion aus Mazedonien. Erworben 2004 in Skopje in einem kleinen Laden für umgerechnet 2 €.
Die kurzen Hosen sind ein Resultat des Vorhandenseins von Stoff, aus dem der Anzug "USTA-Form Nr.6" im Jahre 2003 hergestellt wurde. Der klassische Schnitt und der leichte Stoff aus knitterarmen Mischgewebe eignet sich hervorragend als Streetwear und verleiht dem Träger sogar gewisse "Psycho-Würde" in der unglücklichen Lage eines Mannes mit blossen Knien.
"

USTA-Form Nr. 2

"Das Hemd ist ein Erbstück und wird nur zur besonderen Anlässen getragen. Es ist eine Arbeit meiner Großmutter vom Ende der 60er Jahre für meinen Vater. Die Krawatte in Form einer abgebissenen Schlinge ist eine Eigenkreation zur Eröffnung der Ausstellung "Getting Closer. Vier Armenier suchen einen Ausweg" in der ifa-Galerie 2003. Die Sommerhosen aus Baumwolle sind die Krönung einer kurzen Beziehung mit einer Moskauer Designerin."

USTA-Form Nr. 3

"Das rosa Hemd ist auch eine Manufakturproduktion aus Mazedonien für umgerechnet 2 €.
Die Anzughosen und die Weste aus Leinen sind Teil meiner zweiten in Auftrag gegebenen Anzugkombination in Armenien bei USTA Levon im Jahre 2000. Zusammen ca 20 $.
Die rote Krawatte ist original Christian Dior. Ein Tauschobjekt mit Gia Edgveradzes Künstlergruppe "Everything Will Be All Right" nach dessen Performance-Auftritt in Berliner NBK im Juni 2005."

USTA-Form Nr. 4

"Mein zweiter Maßanzug. Aus Leinen. Es war gedacht, die graublauen Hosen und Weste zusammen mit einem hellen sandfarbenen Sakko zu tragen, was eine sommerliche Lässigkeit ausstrahlt.
Das Hemd ist die Arbeit des gleichen Meisters aus dem Jahr 2003. Schnittkosten - 10 $. "

USTA-Form Nr. 5

"Eine einheitliche Kombination, die selten getragen wird. Etwas zu breite Schultern und Hosen gleich heller Farbe wirken aufdringlich, zu "pathetisch". Zusammen 50 $.
Das Hemd ist aus etwas zu dichtem Gewebe. Paßt farblich gut, aber es ist kein Stoff, der atmet und für wärmere Zeiten ungeeignet. Arbeit des Meisters Levon für 8 $. Die Krawatte ist aus dem gleichen Material wie das Innenfutter, um 5 $."

USTA-Form Nr. 6

"Der 1A Anzug zu Präsentationszwecken. Italienischer Stoff und Innenfutter, im Moskauer Fachgeschäft gekauft. Eleganter Schnitt, für den USTA Levon
60 $ - weniger als die Materialkosten - verlangte.
Mein dritter in Auftrag gegebener Anzug im Jahr 2002. Die Krawatte ist ein Geschenk meines Vaters. Ursprünglich von seiner Reise 1980 in Kanada. Sehr dezentes und gleichzeitig Ernsthaftigkeit verleihendes Stück."

USTA-Form Nr. 7

"Zum Sakko "USTA-Form Nr.6" wurden einige paar Hosen mitbestellt aus etwas dunkleren Stoffen, für je 10 $.
Da ich im Vergleich zu Westeuropäern nicht besonders hochgewachsen bin, vermittelt eine solche Farbkombination eine gewisse Schlankheit in der Erscheinung.
Die Krawatte und das Stecktuch sind ein Abschiedsgeschenk einer Besucherin aus Rußland, das Produkt eines jungen Berliner Unternehmens "CFK Design". In einer sehr originellen Verpackung im Frühjahr 2006 lediglich 20 € teuer auf dem Kunstmarkt hinter dem Zeughaus.
Die Ringe sind aus dem Jahr 1999 und 2000 von Robert Jesayan nach meinem Entwurf. Materialwert je 100 $. Arbeit wurde mit Arbeit verrechnet."

USTA-Form Nr. 8

"Eine ähnliche Kombination wie "USTA-Form Nr.7".
Die Krawatte ist von Aigner, ein Geburtstagsgeschenk meiner Liebsten. Die Umkehrung gängiger Bekleidungskombination - helles Hemd und dunkle Krawatte schafft Feierlichkeit und auch ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem "Geheimbund": Mafia? Künstlerverband?"

USTA-Form Nr. 9

"Mein allererster Maßanzug aus dem Jahr 1999. Ideal für fast alle Lebenslagen wie Hochzeit, Vernissage oder Beerdigung. Leider etwas zu straff, eher im englischem Stil mit einer Verstärkung im Innenfutter genäht. USTA Armens Kreation kostete mich damals noch 50 $.
Das sonnengelbe Hemd ist eine Spitzenarbeit des USTA Levon aus dem Jahr 2003. Ärmel selbstverständlich mit Schlitzen für Manschettenknöpfe."

USTA-Form Nr. 10

"Anzug gleicht der "USTA-Form Nr.9" aber die Hosen mit Umschlag, was ein Muss für Feierlichkeiten ist. Die Bärchen-Krawatte spielt auf meine Zugehörigkeit zum indo-germanischen, ur-arischen Mhythenkreis an, für den Bären unbenennbaren Totemtiere waren. So bedeutet AR-CH auf Armenisch wörtlich übersetzt MANN-NICHT, was Einiges über meinen Künstlernamen und meinen Wohnort in Berlin verrät. Das Einstecktuch ist aus dem gleichen geheimnisvollen Stoff wie das Hemd in "Nr.9". "

USTA-Form Nr.11

"Doppelreiher für besonders schwere Verhandlungen. Arbeit des USTA Levon aus dem Winter 2003.
Der Stoff wurde gemeinsam aus mehreren kleinen Jerewaner Stoffläden ausgewählt. Es wurde nur ein Sakko geschneidert, ohne Aufpreis für 40 $.
Hosen sind aus einem anderen etwas dunkleren Stoff. Mein erster bewußter "grauer" Anzug.
Die Krawatte ist mit 100 $ Aufdruck und wurde auf einem Jerewaner Markt für 5-7 $ gekauft. "

USTA-Form Nr. 12

"Eine Variation wie "USTA-Form Nr.11", aber als Casualwear.
Die violettfarbene Krawatte ist eine Münchener "Wagenheimer" Marke, erworben auf einem Berliner Flohmarkt für 3 €. "

USTA-Form Nr. 13

"Ein "Tweed"-Anzug aus dem Jahr 2004. USTA Levons Kreation. Zusammen mit dem Stoff ca. 110 $.
Der Stoff inspirierte mich durch seine Webstruktur, da viele bunte Farbpunkte ein pointillistisches all-over Muster ergeben und auf meine "Berufung" hinweisen. Das Manchester-Hemd ist eine original chinesische Produktion aus dem Besitz meines Vaters."

USTA-Form Nr. 14

"Das gleiche Sakko wie "Nr.13" als Winter-Casual.
Die Hosen aus dickem dunkelgrünen Stoff mit kleinen gelben Besprenkelungen. Der Schal ist eine Arbeit des gleichen Schneiders, aus dem Wollstoff, der als Innenfutter des Mantels "USTA-Form Nr.15" verwendet wurde."

USTA-Form Nr. 15

"Dieser Wintermantel ist aus original sowjetischem Militär-Filz geschnitten, aus Beständen, die noch heute in Jerewaner Stoffläden zu finden sind.
Der Schnitt ist in Zusammenarbeit mit USTA Levon und meinem Vater entstanden als Folge einiger Skizzen. Ursprünglich wollte ich noch einen farbigen Streifen einfügen, doch am Ende sind wir bei einem kleinen Konstruktionsmerkmal auf dem linken Ärmel geblieben. Die Arbeit kostete mich 70 $.
Die Mütze war ursprünglich eine Tiroler Produktion für die ich am Rathaus Schöneberg bei einer Standverkäuferin 15 € hinblätterte. Sie war anfangs mausgrau, wurde aber von mir grün gefärbt, und gegen Ende des Winters 2005-2006 befestigte ich daran auch ein Sternabzeichen - Geschenk meiner 16-jährigen Schwester aus Moskau, das sie zuvor stolz an ihrer Baskenmütze getragen hatte."

Der getarnte Künstler
Von Philipp Goll

Archi Galentz erscheint in Leinenhose, Weste und Hemd. Graubraun schimmert sein Dreiteiler. Elegant ist er, der Künstler "sowjetischer" Herkunft. Doch was sticht dort aus seinem Ausschnitt heraus? Es ist ein orangefarbenesT-Shirt - farblich genau abgestimmt. Ist er also doch ein "Kreativer"? Einer, der nicht nur durch bildimmanente Farbkomposition bestechen möchte? Ist er ein: "Avantgardist"? Entschiedenes Nein. Denn in seiner Ausstellung "USTA, has you got some ASTAR?" rechnet er mit dem Avantgardisten ab - und nicht nur mit seinem Erscheinungsbild.

Archi Galentz wird im Jahre 1971 in Moskau geboren. Er wächst in einer armenischen Künstlerfamilie auf. Was er erfährt, vom Leben der Großmutter bis hin zum Leben seines Vaters, wird auch zu seiner Berufung - die hohe Kunst zur Profession gemacht. Er studiert bildende Kunst an der staatlichen Hochschule in Jerewan und macht sich 1991 auf den Weg in das gerade wiedervereinigte Berlin, um an der UdK Kunst und Design zu studieren. Die Kontakte in seine Heimat sind seitdem nicht abgebrochen. Seit 2001 ist er Mitglied in der Moskauer Künstlervereinigung. Das nächste halbe Jahr wird er wieder in Jerewan verbringen. Diesmal jedoch hinter dem Lehrerpult: Er hat an seiner einstigen Universität einen Lehrauftrag angenommen.

Aus der Distanz heraus lässt sich bekanntlich vorzüglich beobachten. Demgemäß tut es Archi Galentz mit der zeitgenössischen russischen Kunst. Es ist ihm zuwider, dass der russische Kunstdiskurs stetig hilflos um das negative Image Russlands kreisen muss, um nach außen hin authentisch zu wirken. Zeitgenössische russische Künstler würden sich dem westlichen Kunstmarkt gegenüber unterwürfig verhalten. Sie nützten ihre Nationalität aus und verklärten das Klischee des "Russen", anstatt aufzuklären, was in Russland tatsächlich passiert. Auf eine genauere Nachfrage antwortet Galentz ernüchternd "der polarisierende, erfolgreiche Künstler beschränkt sich darauf, den Russen aus stereotypischer Perspektive darzustellen; er stellt den Russen als Untermenschen da, als jemanden, der unkultiviert, grob und animalisch erscheint". Der Künstler, von dem er spricht, trägt den Namen Oleg Kulik (hier nur als Beispiel genannt). Mitte der 90er Jahre erregte er mit seinen animalischen Performances Aufsehen. Mit ihnen prononcierte er noch das Klischee vom Russen. Demjenigen, der wie ein Hund auf dem Boden herumkriechend bellt und beisst, dem wirft man schließlich gern ein Stöckchen hin, um sich an dem "Hund" zu ergötzen. Oder Boris Michailovs kritische sozialdokumentarische Fotografie könnte hier als weiteres Beispiel genannt werden.

"Aber nicht nur in Russland operiert man mit den Mitteln der scheinbaren ethnischen Attributen", fügt Galentz schnell hinzu, um seine Momentaufnahme der zeitgenössischen Kunst in einen globaleren Kontext zu fassen. Er nennt Norbert Biskys Bilder als Beispiel. Auf diesen sind meist goldblonde Buben, beglückt mit blauäugigen Antlitzen und wohlgeformt kräftigen Körpern dargestellt. Der Fall Arier als Sujet präsentiert. Den, von BILD als "neuer Beuys" gekrönten Maler und Performancekünstler Jonathan Meese, der sich in seinen Bildern diffus der martialischen Germanensymbolik bedient und sich dabei irgendwo zwischen Parzifal und Hitler, in Performances, unter Titeln wie "Aktion Blutgral" verirrt, lässt er in seiner Bestandsaufnahme ebenfalls nicht fehlen. Auch Meese berufe sich auf den - jeglicher Liberalität und Toleranz zum Trotz - bestens funktionierenden nationalen Stereotyp.

"Die alternative junge Kunst in Russland hat keine Lobby". Das ist eine schmerzhafte Feststellung, die Archi Galentz nicht nur beobachtet, sondern auch im eigenen Kunstschaffen thematisiert. Freilich geht es mit einem fehlenden Binnenmarkt für die Kunstproduktion und mit einer fehlenden Kunstdistribution konform. "Der kommerzielle Erfolg eines zeitgenössischen Kunstwerks wird eher als gelungener Coup empfunden, und nicht als das Resultat einer normalen Tätigkeit eines Künstlers, eines Kunsthändlers, eines Galeristen", vernimmt man es aus den Reihen der Kunstkritiker. "Und gerade junge unabhängige Kunst hat einen schweren Stand", bekennt Archi Galentz missmutig. Nonkonformistische Kunst, die naturgemäß jenseits der Forderungen des Marktes liege, könne sich nur schwer behaupten. Als er im Winter 2004 in Moskau war, fand er eine entschieden andere Situation vor, als die Medien im Westen kolportierten. Animiert von den sozialen Veränderungen, schuf er eine Fotoserie, mit Motiven wie beispielsweise Annoncen für Taxifahrer. "Taxifahrer gesucht, 1000 Dollar Monatsgehalt" stand darauf. Für ihn ein völlig neues, hoch bedeutungsschwangeres Motiv: ein neuer Arbeitsmarkt in Russland mit Angebot und Nachfrage, statt der sonst scheinbar omnipräsenten Obdachlosen und Alkoholiker.

In seiner Ausstellung "USTA, has you got some ASTAR?" setzt er sich mit der Geschichte des Avantgardisten auseinander. Dabei betrachtet er genauer den, mit dem Avantgardisten (Vorhut) verwandten, in der Militärsprache gleich bewerteten, im landläufigen Verständnis jedoch unterbewerteten Arrieregardisten (fälschlicherweise als Nachhut deklariert). Dem Arrieregardisten als Kämpfer kommt laut Galentz heutzutage eine wesentlich größere Bedeutung zu. Denn er hat erstens größere Verantwortung zu tragen, was die Phase des Rückzugs betrifft. Zweitens gelangte Galentz nach einer Untersuchung von Angriffsstrategien bedeutender Feldherren zu dem Ergebnis, dass schlichte Angriffskriege kaum Erfolg versprechend waren.

USTA-Formen, das sind verschiedene Garderoben. Meist sind es persönlich von Archi Galentz beim Schneider USTA Levon in einem armenischen Schneideratelier in Auftrag gegebene Einzelstücke. Mit diesen Anzügen möchte er in einem anderen Licht erscheinen: als Person, die nicht sofort als Künstler enttarnt werden kann. Ihm ist daran gelegen, es dem Arrieregardisten gleichzutun und versteckt zu operieren. Davon verspricht er sich Macht, die üblicherweise nur jenen Herren in den "grauen Anzügen" zukommt. Also den Herren, die tatsächlich in grauen Anzügen hinter Schreibtischen sitzen und mit viel Geld über wenig Kunst bestimmen. "ASTAR" (Innenfutter) geht auf eine Anekdote zurück, nach der er den Schneider bat, ein anderes Innenfutter zu verwenden, als das, welches er für die Anzüge seines Vaters verwendete. Vater versus Sohn gleich einem Generationskonflikt? Mag so scheinen, stellt für Galentz aber keine Motivation dar.

Seit 2002 stellt Archi Galentz im Prima Center im Wedding aus. Das Prima Center Berlin wurde initiiert, um einen Ort "von Künstlern, für Künstler" zu schaffen, eingebettet in die Künstlerkolonie Wedding. Hier kann sich Galentz ganz ohne Restriktionen, mit denen er sich in staatlichen Institutionen konfrontiert sähe, seinen Beobachtungen widmen, sowie auch künstlerisch tätig sein. Und zwar im Diskurs einer Art "invisiblen", also arrieregardistischen Kunst.

Ausstellung | Interview | Manifest | Biografie | Kontakt
Archiv:
10 Saskia Göldner "Bewegung und Raum"
09 Archi Galentz "USTA, has you got some ASTAR?"
08 Performance "Calligraphy Collaborations" 2006
07 Marina Gerzovskaya / WDNH
06 Andrei Loginov / Leo Vukelic "Mars Mission"
05 Viktor Nikolaev "Kunst und Werbung" Berlin Moskau 2003
04 Valentin Kozlov "Menschen und Plätze" Leningrad 1960
03 Alexander Tokarev "Berlin"
02 Igor Gorovenko "Geburt und Tod"
01 Polina Loginova "Kaukasus"