Archi Galentz USTA, has you got some ASTAR?

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Sitzkissen sind nicht sexy,
aber bequem

Ein Gespräch mit dem Künstler über den Arrieregardisten im Kunstsystem, die Manipulationsfähigkeit von Kunstinstitutionen und über die Schlagkräftigkeit von invisible art.

PG: Herr Galentz, Sie haben in Russland gelebt, in Armenien und wohnen nun seit geraumer Zeit in Berlin. Können Sie sagen, für welches Land Sie so etwas wie "Heimatgefühl" empfinden?

AG: Das kann ich nicht. Der Künstler muss dort leben, wo er sich am besten mit seiner Kunst beschäftigen kann. Natürlich kann ich sagen, dass die vergangenen Jahre - die für meine Entwicklung sehr wichtig waren - in Deutschland stattgefunden haben und dass ich deshalb eine enge Beziehung speziell zu Berlin aufgebaut habe. Berlin ist ein Ort, an dem ich sehr viel mit mir selbst beschäftigt war und auch weiter beschäftigt sein kann.

PG: Sie kommen aus einer Künstlerfamilie. Mit welcher Art Kunst haben sich Ihre Familienmitglieder beschäftigt?

AG: Großteils haben sie sich der Malerei gewidmet. Mein Großvater hat sich zudem noch mit Bildhauerei beschäftigt und mein Vater mit Design.

PG: Gibt es unter Ihren Familienmitgliedern eine Person, die Sie besonders beeinflusst hat?

AG: Das kann ich nicht sagen. Für mich war es jedoch sehr wichtig, zu lernen mit Kunst zu leben. Durch meine Familie war es für mich irgendwann selbstverständlich, ein Künstler zu sein. Für mich bedeutet Künstler zu sein auch nicht, irgendwelche Privilegien zu besitzen, es ist ein absoluter Normalzustand. Was mich seitens meiner Familie geprägt hat, ist mit Sicherheit eine Art Unabhängigkeit vom Staat. Meine Familie hat nie besonders mit dem Staat kollaboriert, wie man das so sagt. Niemand aus meiner Familie war in der Partei und Militärdienst absolvierte auch keiner von uns. Der einzige Dienst war der Schuldienst. Mein Großvater ist Professor und mein Vater lehrt auch. Sein Gewissen nicht für irgendwelche Kompromisse herzugeben - egal in welcher Situation, das ist das Wichtigste, was ich von meiner Familie gelernt habe. Die Kunstrichtung ist dabei nebensächlich.

PG: In Ihrer Kunst beschäftigen Sie sich mit den verschiedensten Medien. Wie würden Sie Ihre Kunst charakterisieren?

AG: Um es kurz zu fassen…ich denke, dass die ganze Struktur von Kunst, von zeitgenössischer Kunst, auf einer Schwelle steht. Deswegen kann man nicht einfach seine Ideen oder seine Vision im Kleinen ausleben. Man muss eigentlich den ganzen Raum, in dem Kunst entstehen kann, gestalten. In den letzten Jahren bin ich mit dieser Art Raum beschäftigt. Es ist nicht unbedingt ein physikalischer Raum - es ist eher ein Landschaftsraum, ein ästhetischer und philosophischer Raum.

PG: Ziehen Sie dabei auch den Ort in Betracht, den Raum als Ort?

AG: Ja, als physikalischen Ort. Mir geht es jedoch nicht um das Aneignen von Orten für Kunst, sondern um die Dialektik von Institutionen und privatem Raum. Ich habe eine große Skepsis gegenüber Institution als absoluten Raum, in dem Kunst entsteht. Für mich bedeutet jede Institution Begrenzung und Zensur, ökonomisch, wie auch ideologisch. Meine Frage richtet sich an diese Institutionen und die von ihnen ausgehende, versteckte Manipulation, durch die Anbietung vom "white-cube" als medialen Raum. Ich habe bei Ausstellungen in Institutionen wie auch in Galerien versucht, diesen scheinbar neutralen Raum zu sabotieren, in dem ich zum Beispiel eine private Atmosphäre geschaffen habe. Ich habe ein Hochbett auf die Wand gemalt und über diesem Hochbett eine Sammlung meiner befreundeten Künstler ausgestellt. Das sind kleinere Arbeiten, die nicht unbedingt in einem riesengroßen Museumstempel funktionieren. Sie sind nicht "blowed up" wie man so sagt. Sie sind nicht dafür gemacht, als Exportartikel in Messehallen präsentiert zu werden.

PG: Äußert sich darin eine Kritik sowohl an der Kunstdistribution wie auch am Umgang des Staates mit der Kunst?

AG: Ja, das können Sie so verstehen. Dieses Argument, dass jede freie Gesellschaft oder jede demokratische Gesellschaft freie Kunst automatisch hervorbringt und Räume für sie schafft, erachte ich als falsch. Meine Erfahrung aus den neunziger Jahren zeigt, dass es gerade in Osteuropa keine lebendigen und offenen Strukturen gibt. Das verstärkt nur meine Meinung, dass zeitgenössische Kunst als Betrieb und als System doch nur eine künstlich entstandene Institution ist. Künstler aus Osteuropa haben nur eine Option: sich anzupassen in diesem Strom von Möglichkeiten - den es doch gibt, was ich nicht bestreiten möchte. Aber es gibt keinen eigenen unabhängigen Raum für Kunst. Russland ist eines der größten und eines der reichsten Länder der Welt, hat aber außerhalb Moskaus keinen einzigen offiziellen Raum für Kunst, der ständig und immer aktuell Kunst aus Russland einen Raum bietet. In Berlin gibt es eine Botschaft, mit einer großen Anzahl von Räumlichkeiten und ein sogenanntes kulturelles Zentrum. Aber es gibt keinen Raum, in dem man als Künstler eigene unabhängige Projekte präsentieren kann. Es gibt eine einzige kommerzielle Galerie, die Dissidentenkunst präsentiert: die von mir hoch respektierte Galerie Marina Sandmann, mit der ich auch zusammen gearbeitet habe. Dissidentenkunst von Künstlern aus der ehemaligen Sowjetunion ist der Kern dieser Galerie. Eine andere Galerie, mit der wir eigentlich angefangen hätten, ist GAD, "Galerie Art Digital". Doch in der Hoffnung auf finanzielle Unterstützung wählte sie den Namen „GAD“, anstatt schon in ihrem Namen das Programm zu führen und explizit ihre Fokussierung auf aktuelle russische Kunst deutlich zu machen.

PG: Wie kam es zu der Idee der Ausstellung "USTA, has you got some ASTAR?"?

AG: Es gibt formal mehrere Ebenen. Natürlich entsteht eine Ausstellung, wie auch ein Kunstwerk selbst, aus einer Vision: ab September habe ich einen halbjährigen Lehrauftrag in Jerewans staatlicher Akademie mit dem Thema "Struktur und ökonomische Komponente im Körper des zeitgenössischen Kunstbetriebs". Ich werde in Armenien versuchen, jungen Künstlern Management nahe zu bringen. Denen muss ich natürlich zeigen, wie ich mich selbst als Künstler positioniere und ihnen meine ethische und ästhetische Überlegung darüber, wie man erfolgreich wird, deutlich machen. Gleichwohl bin ich jedoch nicht der Mensch, der jungen Leuten beibringen möchte, wie man sich am besten anpasst und am besten Profit herausschlägt. Ich bin eher jemand, der kritisch zu dieser Struktur steht und dafür sensibilisieren möchte. Ich habe mir die Frage gestellt, wie ich die Studenten mit diesem Thema am besten erreichen kann. Nun versuche ich sie zu erreichen, indem ich mich wie ein erfolgreicher Businessman, vielleicht als Dandy kleide. Wenn ich mich als jemand, der etwas erreicht hat, präsentiere, kann ich eine gewisse Hierarchie und Respekt aufbauen. Von dieser Ebene ausgehend, ist es mir eher möglich zu kritisieren, als wenn ich als ein lockerer Typ, als ein "Avantgardist" auftreten würde. Ich werde dort an der Hochschule als ein adrett gekleideter Herr auftreten. Nehmen Sie Markus Lüpertz, der Maßanzug trägt und auf aristokratische Werte setzt, als ein deutsches Beispiel.

PG: Und diese Scheinanpassung gehört zu Ihrem Konzept?

AG: Natürlich. Diese Scheinanpassung ist der Versuch einzudringen, um diese Ebene zu dekonstruieren. Das ist letztendlich wie ein doppelter Spiegel, oder eine Falle, wenn Sie so möchten. Ich stelle mir ganz konkrete Ziele für diese Vorlesung und denke, dass ich die Studenten am besten erreichen kann, wenn ich über Geld und seine Mechanismen spreche.

PG: Es ist nicht immer üblich, dass Texte zur Ausstellung vom Künstler selbst verfasst werden. Warum überlassen Sie nicht Kunsthistorikern diese Aufgabe?

AG: Ich übernehme die Arbeit der "Herren im grauen Anzug". Wenn man sie kritisiert, muss man die Arbeit auch selbst machen können. Letztendlich geht es ja nicht darum, einfach gegen etwas zu sein, sondern etwas anzubieten und eine Erneuerung zu schaffen. Selbstverständlich schaffe ich mit dieser Arbeit einen Raum und es wird sich mit der Zeit zeigen, ob dieser Raum missbraucht, oder zu einem alternativen Raum wird.

PG: Die Untertitel zu Ihren Fotografien, auf denen Sie mit den Anzügen zu sehen sind, enthalten einen unterschwellig ironischen Ton. Welche Bedeutung hat die Ironie für Ihre Werke?

AG: Gerade wenn der eigentliche Inhalt ernst ist, sollte man keine Scheu davor haben, Selbstironie zu entwickeln. Denn für die Reflexion ist es nur von Vorteil. Aber gerade diese schwarze Ironie ist etwas, was ich aus der russischen Tradition mitgebracht habe. Diese Art der Ironie ist eine Konstante in der russischen Literatur, wie auch in der russischen Musik. Das gehört für mich zu einem Hauptcharakteristikum der russischen Kunst. Humor als ein Ausweg aus einer scheinbar auswegslosen Situation.

PG: In Ihrem Manifest zu "USTA, has you got some ASTAR?" wenden Sie den Begriff "Arrieregardist" auf die Kunstgeschichte an. Welche Bedeutung hat der Arrieregardist in der Kunstgeschichte für Sie?

AG: Arrieregarde wird allgemein als etwas Negatives bewertet. "Arrieregarde" kommt wie auch "Avantgarde" aus der Militärsprache. Jedoch bedeutet Arriergarde nicht "Nachhut", auch nicht "Reservetruppen". Es sind Truppen, die auch den Kampf führen. Die Avantgarde agiert, um die feindliche Linie zu durchbrechen oder um ein Ablenkungsmanöver zu initiieren. Arriergarde jedoch sind die Truppen, welche den anrückenden Feind in gerade jenem Moment aufhalten müssen, in dem die eigene Armee sich umstrukturiert und ummanövriert. Angewendet auf die Kunstgeschichte bedeutet es folgendes: unsere Vorstellung von Kunstgeschichte ist zu linear und zu einfach. Es gibt nicht nur eine Spitze mit den "Besten", die dann die Gesellschaft attackieren. Die Arrieregarde muss sich nicht vor der Avantgarde verbeugen. Das ist eine pure modernistische Vorstellung und funktioniert nicht mehr. Deswegen kam ich zum Arrieregardisten. Er ist ein Künstler, der sich nicht im Mittelpunkt der Gesellschaft positioniert, der frei agieren kann und unscheinbar ist - aber arbeitet. Er ist mehr mit einem Partisan verwandt, vielleicht mit einem "Schläfer", oder gar mit einem Terroristen.

PG: Mit Ihren Anzügen können Sie also sozusagen versteckt operieren?

AG: Es ist besser, nicht wie ein Künstler auszusehen, aber viel Macht zu haben und etwas zu verändern, als wie ein Avantgardist auszusehen, aber im Grunde nur zu schauen, wo es eine Möglichkeit gibt, abzusahnen, Gelder zu bekommen und sich somit überhaupt mitteilen zu können und eine Wirkung zu erzeugen. Es gibt im Design ein Begriff, der mir sehr gut gefällt: "invisible design". Gutes Design zeichnet sich nicht unbedingt dadurch aus, optisch so betörend zu sein, dass die Leute zum Kauf gezwungen sind. Invisible Design bedeutet, dass man zum Beispiel ein Möbelstück gar nicht als gestaltet wahrnimmt. Als gutes Beispiel dafür kann ich Sitzkissen nennen. Hier hat man nicht vier Beine, auf denen man sitzt, sondern eine Form, die aktiv ist. Wenn man auf solch einem Kissen saß, fühlt man sich nicht mehr wohl auf einem klassischen Stuhl. Aber das Interessante ist, dass diese Stühle überhaupt nicht sexy aussehen. Genau diese Mechanismen wende ich auf meine Kunst an. Invisible-Kunst kann viel schlagkräftiger sein.

PG: Die "Herren in grau", die Sie ebenfalls in Ihrem Manifest erwähnen, sehen nicht wie Künstler aus, sind keine Künstler, haben aber trotzdem Macht.

AG: Die "Herren in grau", das sind die Herren, die in Kunst- Ämtern sitzen, zu Politikern gehen und Gelder für Projekte organisieren. Die stellen sich nicht unbedingt in den Mittelpunkt. Denen geht es auch um Kunst, doch das Entscheidende ist, dass die Kunst in den Räumen, die sie für sie schaffen bleibt. Aber sie schaffen nicht den Raum für radikale Kunst, für ernsthafte Veränderungen. Letztendlich sind diese Personen abhängig von Politik oder  verfolgen kooperative also wirtschaftliche Interessen. Man versucht nun, die Kunst als ein teures Vergnügen der Gesellschaft aus der Trägerschaft zu lösen und das auf private Träger umzuverlagern.

PG: Sehen Sie dabei eine Entwicklung, wie sie in den USA stattfindet?

AG: Auch in den Deutschland nimmt die Übertragung von staatlichen Trägern auf private Träger zu. Aber Unternehmen wie Bewag kokettieren bloß damit, dass sie junge dynamische Kunst unterstützen. Letztendlich versuchen sie nur ihr eigenes Image aufzupolieren, ohne dabei die Gesellschaft wirklich tangieren und sensibilisieren zu wollen.

PG: Immerhin präsentieren diese Träger Kunst...

AG: ...sie bedienen sich aber der Option, Kunst in Entertainment aufzulösen, mit dem Ziel, dass die Leute einfach kommen, um einen lustigen Abend zu verbringen. Kunst ist immer etwas Religiöses. Kunst ist auch immer etwas Politisches. Es sollte primär um Mobilisierung und Sensibilisierung von Gleichgesinnten gehen. Damit meine ich Leute aus der Presse, Leute aus intellektuellen Kreisen und Personen, die dahinter etwas Ernsthaftes sehen.

PG: Ist es nicht eine sehr elitäre Ansicht, nur die "besser gestellte" und "gebildetere Schicht" erreichen zu wollen?

AG: Die gebildete Schicht muss nicht die obere Schicht sein. Als gebildeter Mensch kann man sehr arm sein, weil man die Lebenszeit in Bildung investiert und nicht in Geldmachen, das ist entscheidend. Außerdem bezweifle ich sehr, dass die "obere Schicht" wirklich an Kunst interessiert ist und sich die Mühe macht, sie zu verstehen. Ich war auf der Rembrandt- Ausstellung und bezweifle, dass die meisten sie verstanden haben - auch wenn es ein "alter Meister" ist. Kunst wird zum Event. Genauso, wie es momentan in Bonn mit der Guggenheim-Collection der Fall ist, oder wie es vor zwei Jahren war, als das MOMA in Berlin war - und dabei findet alles in institutionellen Sphären statt!

PG: Würden Sie sagen, dass die Kunst zunehmend hermetischer wird, also eine direkte Auseinandersetzung mit ihr fordert und somit "Ungebildeteren" kaum Zugang bietet?

AG: Die Menschen, die vielleicht ein nicht so weites Kunstverständnis haben, diese Menschen sehen, dass hier im Wedding im "Prima Center" etwas stattfindet und sind interessiert. Ich behaupte, dass die Leute, die wissen, dass es Messen in Basel oder Miami gibt, oder dass in Mitte irgendwelche Schickimickigalerien gerade ausstellen, nicht hier herkommen würden. Außerdem werden die Kinder, die hier vor der Tür spielen, wenn sie älter sind, keine Angst haben, sich mit zeitgenössischer Kunst zu beschäftigen. Wir, hier in der Kolonie Wedding, sehen es als traurige Tatsache an, dass eine Gegend ghettoisiert ist. Sie würde noch krimineller und noch gefährlicher, wenn hier nichts stattfände. Das Mietunternehmen "DEGEWO" versucht, indem es niedrige Mieten verlangt, den Leerstand und die kulturelle Passivität zu kaschieren. Die günstigen Mieten für die Galerien im Wedding sind also nicht primär als Anliegen zu verstehen, die Kunst zu fördern. Kunst dient hier lediglich als Lockvogel für Gastronomie & Co. Es entsteht nur eingeschränkt ein Angebot, welches die Anziehungskraft besitzen könnte, Leute von außerhalb dazu zu bewegen, nach Wedding zu kommen. Mir geht es darum, hier in PCB (Prima Center Berlin) mit dieser Ausstellung  ein neues Netz aufzubauen, eine eigene Philosophie und eine eigene Ästhetik zu formulieren. Es ist wichtig, Repräsentationsmöglichkeiten zu thematisieren – und was das besondere daran ist: in einem Raum, von Künstlern und für Künstler geschaffen, ohne manipulative Elemente”.

Das Gespräch führte Philipp Goll  

 

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