"Tyrannenmördergruppe"
Photo: Sergej Buinov

Die Griechische Klassik - Idee oder Wirklichkeit.

1. März - 2. Juni 2002
Martin-Gropius-Bau,
Niederkirchnerstraße 7,
10963 Berlin,
U-/S-Bahn Potsdamer Platz
Öffnungszeiten: täglich außer Dienstag 10 - 20 Uhr, Samstag 10 - 22 Uhr Informationen: 030/25488 6778
www.klassik2002.de

Die Griechische Klassik - Idee oder Wirklichkeit.

Das ehemalige Berliner Kunstgewerbemuseum, im spätklassizistischem Stil erbaut und nach seinem Architekten "Martin-Gropius-Bau" benannt, ist bekannt für seine prestigeträchtigen und teuren Ausstellungen. Die am 1. März eröffnete "Griechische Klassik", die noch bis zum 2. Juni gezeigt wird, macht davon keine Ausnahme. Veranstalter ist die Antikensammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, die unter anderem mit dem Pergamonaltar über herausragende Kunstschätze verfügt. Für die Ausstellung wurden 600 Exponate aus über 120 Sammlungen zusammengetragen, darunter so einzigartige wie die Gruppe der Tyrannenmörder aus dem Archäologischen Museum in Neapel. Doch leider steht die Wirkung im Gegensatz zur Absicht.

Die achtzehn nicht sehr weitläufigen Säle, die sich um den Lichthof gruppieren, sind vollgefüllt mit Vasen, Statuen, Gipskopien römischer Marmorkopien griechischer Statuen, Architekturmodellen, noch mehr Vasen, und noch mehr Statuen. Die große Zahl interessierter Besucher schob mich von Saal zu Saal; bereits im fünften drehte sich mir der Kopf. Hier wurde mir in üppiger Auswahl die Wirklichkeit präsentiert, aber wo blieb die Idee? Was inspirierte die Griechen zur Schaffung solch wunderbarer Körperformen, die später als "klassisch" bezeichnet wurden? Wohl zeigte mir die Ausstellung, wie sich die griechische Kultur um das Mittelmeer und Schwarze Meer verbreitete, wie Athen die Demokratie einführte, doch nichts stellte dies in einen anschaulichen Zusammenhang mit der Geburt einer neuen Kunst.

Gegenüber dem Begriff der klassischen Kunst gibt es zwei Ansätze: eine historische, welche sie als Stil im Griechenland des 5. und 4. Jahrhunderts vor Christus mit Schwerpunkt Athen definiert. Diese Bestimmung ist erst relativ spät erfolgt, sie wird im allgemeinem dem deutschen Kunsthistoriker Winckelmann mit seiner Schrift aus dem Jahre 1755 zugeschrieben. Die zweite Definition ist wesentlich älter, doch auch sie stammt nicht von den Griechen selbst, die sich ja keine Rechenschaft darüber ablegten, dass sie "Klassisches" schufen. Sie nimmt Bezug auf den Grad der Vollendung eines Kunstwerks, auf seine außergewöhnliche Qualität und somit Repräsentativität, und ist damit unabhängig von Epoche und Stil. Diese ästhetische Definition wurde von den Römern um das Jahr 200 eingeführt, und zwar als Bezeichnung für hervorragende, den Kanon bildende Schriftsteller.

Die erste - historische - Definition kommt in 16 der 18 Ausstellungsräume zum Einsatz, ohne dass gleichzeitig darauf eingegangen wird, aus welchen Gründen bestimmte Exponate "klassischer", das heißt zeitloser sind als andere. Die acht sogenannten Themenbereiche, wie "Politik und Öffentlichkeit", "Leben in Bildern", "Drei Wege zur Klassik" bleiben vage, man findet kaum schriftliche Erläuterungen, abgesehen von den winzigen Beschriftungstäfelchen an den Ausstellungsstücken und einigen einführenden Worte zu den Themen. Der Besucher kann sich einen Audio-guide mieten oder den Katalog kaufen, doch bin ich der Auffassung, dass eine Ausstellung dieses Kalibers dem Publikum alle notwendigen Informationen mit dem Erwerb der Eintrittskarte zur Verfügung stellen muß und es nicht zwingen darf, zusätzliche Ausgaben zu tätigen beziehungsweise Material mit sich herumzuschleppen.

Das eigentliche Problem der Ausstellung sind jedoch die beiden letzten Räume, die unter dem Thema "Renaissance und Klassizismen" vom 18. Jahrhundert bis in unsere Zeit führen. Nicht nur erhalten wir keine Erklärung dafür, warum das Interesse an der Klassik unvermittelt auflebt, sondern wir werden förmlich hineingeworfen in eine Unzahl literarischer Erzeugnisse, Manifeste, Fotografien, Gemälde, die das verkörpern, was ihre jeweiligen Autoren als Idee der klassischen Periode begreifen, was zu den widersprüchlichsten Ergebnissen in Stil, Auffassung und künstlerischem Wert führt. Hier finden wir französische philosophische Literatur vom Ende des 18. Jahrhunderts, die Kopie eines Gemäldes des berühmten Berliner Architekten der Neoklassik Karl Friedrich Schinkel von 1836, Skizzen von Adolph Menzel (1879), eine Schrift von Le Corbusier über das moderne Wohnen in der modernen Stadt (Charta von Athen, 1933) , ein Gemälde von Miró, ein weiteres von Picasso, Leni Riefenstahls Film über die Berliner Olympiade von 1936 - um nur einige wenige aufzuzählen. Mir fehlte eigentlich ein Merdedes Benz 300 SL von 1951, ein wahres Beispiel klassischer Schönheit, aber man hätte einen ganzen Saal dafür gebraucht.

Dieser ehrgeizige Versuch, die beiden Ansätze miteinander zu verbinden, den einen, der durch Zeit und Ort festgelegt ist, und den universellen, epochenüberschreitenden, ertränkt den Besucher in einer Masse zugegeben hervorragender Ausstellungsobjekte, ohne dass er die geringste Chance hat, das, was er sieht, auch zu verstehen.

Die Konfusion des Besuchers ist meiner Meinung nach ein Ergebnis dessen, dass die Beziehung zwischen der Idee und ihrer Bedeutung in der Kunst unklar bleibt. Wenn die Kuratoren die Ausstellung mit "Idee oder Wirklichkeit" untertiteln, so gehen sie wohl davon aus, dass zwischen der "Idee" und der "Realität" eine Lücke klafft, eine Lücke, die für den modernen Menschen charakteristisch ist. Warum sollten wir aber annehmen, das dieser Konflikt bereits für die klassischen Griechen existierte? Könnte die harmonische Vollkommenheit der griechischen Kunst nicht vielmehr damit zu tun haben, dass der Künstler Griechenlands sich in Harmonie mit den Objekten seiner Wahrnehmung empfand? Mit der Konkretheit der Idee, die ihm die Wahrnehmung vermittelte? Und dass die Ausführung eines Kunstwerks für ihn ein natürlicher und kein konzeptioneller Vorgang war?

Der Begriff von der "Idee" hat sich in den letzten 2500 Jahren geändert. Die Menschheit hat es vermocht, die Ideen zu einem Grad der Abstraktheit zu entwickeln, die ihnen die volle Übereinstimmung mit der Wirklichkeit nicht mehr ermöglicht. Der Mensch unserer Zeit lebt im Konflikt zwischen Realität und Idee. Der Künstler löst diesen Konflikt, indem er eine neue Welt schafft. Heute hält man es für ganz selbstverständlich, dass der Künstler den Schöpfungsprozeß mit einer abstrakten Idee beginnt (Schönheit! Harmonie! Symmetrie!) und für diese eine Form schafft. Wenn wir uns aber mit den Weimarer Klassikern beschäftigen, so werden wir feststellen, dass Goethe darauf bestand, ein Kunstwerk müsse die Wirklichkeit mit der Idee durchdringen, und nicht etwa der Idee ein materielles Gewand verleihen. Dieser Unterschied mag gering erscheinen, aber er ist nichtsdestoweniger fundamental in der Beziehung zwischen Kunst, Idee, Wirklichkeit. Im Grunde genommen ist es der Unterschied zwischen einem Kunstwerk, das lebt, und einem Kunstwerk, das tot ist.

Als ich diesen letzten Raum verließ und dabei versuchte, mich an all das zu erinnern, was ich gesehen hatte, traf ich völlig unerwartet am Rande des Lichthofes auf eine Gruppe von Arbeiten, die mir wohl vertraut waren: Arbeiten von Gontcharov, Gurianov, Kuznetsov, Maslov, Novikov, Ostrov, Strauss, Tobreluts. Teure Freunde, ihr habt es geschafft! Ihr befindet euch im Brennpunkt der allgemeinen Diskussion! Allerdings wäre es von den Ausstellungsmachern schon sehr hilfreich gewesen, hätten sie ein Schild platziert mit dem Hinweis, es handele sich um die St. Petersburger Neoakademisten. Ein weiteres Mal bestätigte sich, dass die Ausstellung für den umfassend gebildeten Besucher ausgerichtet ist, der hierherkommt, um lange nicht gesehene Freunde zu begrüßen.

Hätten die Kuratoren lediglich eine "klassische" Austellung beabsichtigt, die darauf angelegt ist, das Publikum durch sorgfältige Erklärungen der ausgestellten Objekte zu bilden und belehren, so hätte es eine höchst informative Angelegenheit werden können. So bleibt ihr Streben nach einer philosophischen Begründung des Ausstellungskonzeptes eine Idee, die nicht in die Wirklichkeit umgesetzt wurde.

Hannelore Fobo, April 2002 Email
Weitere Texte von Hannelore Fobo finden Sie auf der Homepage von Evgenij Kozlov, www.e-kozlov.com

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