[lena kvadrat]
[die kvadratur. der kleidung]
text und design: wibx

 

[kvadrat] =lena kvadrat, designerin aus moskau, lebt und arbeitet in moskau-wien-berlin, kreative koordinatorin des labels
[artpoint] = produktion und verkauf von kleidung und gegenständen drumherum sowie kooperation und realisation von projekten in wechselnden kontexten, plattform für interdisziplinäre, kulturelle aktivitäten

man stelle sich die welt als eine geometrische form vor//
sie sei rund/ wie ein kvadrat/ wo es punkte gibt/ am anfang wie am ende und mit verläufen in verschiedenen richtungen/ die stoppen an ecken/ die es auch gibt//
sie stoppen/ um sich zu verbinden//
dort wo sich richtungen kombinieren//
dort ist es/ wo die welt wächst/ wo sie wird/ indem sie wachsend erfährt//
zum beispiel/ wenn sie sich mit ihrer oberfläche als schaltfläche begreift/ deren strukur den kodierten kontext schafft/ in dem signale verkehren und bedeutungen sich bewegen//
dort ist es auch/ wo menschen sich manchmal als module denken//
wo die welt ein system von zeichen ist/ in dem tätige teilkörperchen wie ihre konzeptuellen kräfte aus kommunikativen kontexten entwickeln//
wo kleidung zum historischen signal und die mode zum modul der kommunikation werden//
wo alles seine bedeutung aus der geschichte und ihrer interpretation/ aus reflexion und irritation erfährt//
wo sich gegebenes und gesuchtes treffen//
wo kleidung als komunikatives element einen kulturellen kontext beschreibt/ der kodiert und symbolisiert ist//
gerade an diesem punkt entdeckt ein aufmerksames wesen wie [lena kvadrat] ihr interesse an der konzeptuellen auseinandersetzung mit den phänomenen/ die uns gesellschaften/ vor allem im urbanen raum/ annehmen lassen//


[neutrale gewässer 2002/2003]

wie eine auszog, signale zu senden.

aus moskau, wo momente mit dem material, das die mode wird, zu ideen werden und ideen zu begegnungen und begegnungen zu fragen werden, tritt lena kvadrat als russische forscherin des kommunizierten kontextes 1993 ihre reise an. [artpoint] nennt sie dieses experiment, den symptomatischen spuren von gesellschaft, vor allem in ihrer urbanen gestalt, nachzuspüren.
moskau bildet den ausgangspunkt dieses experiments und moskau ist bis in das jetzt hinein schaltfläche der produktion, dort ist das atelier, dort eröffnete 1998 der erste laden, der zur zeit nach einer neuen lokalisierung sucht. eine plattform entsteht wenig später in wien in einem weiteren laden, in dem der kommerzielle vertrieb von artpoint-kleidungsgegenständen realisiert wird. hier trifft das konzeptuelle design auf schnittstellen. der kommerzielle teil wird ergänzt durch projekte und weitet sich zur plattform für begegnungen in und um den kulturellen kontext, den die einzelnen elemente beschreiben. und seit 2004 finden interessierte artpoint auch in einem kleinen laden in berlin-mitte - siehe: lokalisationen des labels.

projekte - oder: die kombination von interessen in kontexten.

in jährlichen zyklen erscheint unter einer neuen thematik eine kollektion, die mit der sprache der mode fragestellungen aufwirft.
als eine plattform für projekte beschreibt [artpoint] seine aktivitäten in der modeszene durch präsentation der kollektionen in form von performances, die die interaktionen verschiedener künstlerischer bereiche und beteiligten bedeutet. akustische kompositionen in kombination mit szenischen entwürfen und visuellen interpretationen begegnen sich in performances oder als initiation von theaterprojekten.
der kulturelle kontext, der hier beschrieben wird, ist gerade in den momenten interessant, in denen die künstlerischen entwürfe auf momente des alltags treffen, in denen kommunikation über die professionelle ebene hinweg auch verständliche formen für das sozial-gesellschaftliche moment zeigt, das kunst als teil der kultur mit den in ihr lebenden verbindet. vielleicht sind performances, wie sie lena kvadrat initiiert, ein versuch, nicht nur das künstlerische zu kommunizieren, sondern das, was es dazu werden lässt, in einem kontext, der aus verschiedenen kommunikativen ebenen besteht. vielleicht, um einen teil von etwas über beziehungen zu anderen teilen zu begreifen. vielleicht, weil es irgendwie das ist, was wir bewusst zu machen suchen.

die botschaft, die bedeutet - das eigene und das andere.

die mode, die[ lena kvadrat] schafft, kommuniziert sie als botschaft, die reflexive momente aufgreift und zum teil ironisierend thematisiert. sie ist botschaft, aber auch medium, denn in ihr werden fragen ausgetragen und ideen thematisiert. dabei ist das produktive, das geschaffene ein entwurf, der als offenes element der eigenen arbeit bleibt. das eigene ist das erste bild, das mit der botschaft versendet wird. stadien von bildern folgen, die durch die veräußerung des eigenen - idee, konzept, design - in der begegnung innerhalb des gesellschaftlichen kontextes dem anderen begegnen - den trägern (käufern) und empfängern von signalen (kleidung). man kann hier von kommunikativen momenten sprechen, in denen das eigene als entwurf von ansichten, als botschaft dem anderen begegnet und aus dieser begegnung die bedeutung gewinnt.
bsp. präsentation der kollektionen [konsonanten] und [neutrale gewässer]


[konsonanten 2001/2002]

der "kleidungsgegenstand" - ein designtes objekt?


konzeptuelle aueinandersetzungen mit den phänomenen unserer gesellschaft, die durch die kleidung thematisiert werden, sind reflexive momente. die kleidung greift alltägliche soziale momente auf und thematisiert diese aufgrund persönlicher reflexion der designerin in form eines entwurfs. dieser entwurf setzt sich dann fort in der persönlichen position des jeweiligen trägers. so bleibt ein offener teil, die spannung, die sich durch die begegnung der kleidung (entwurf, idee) mit dem bekleideten (dem träger von ansichten, erfahrungen) formuliert. die kleidung, deren voraussetzung die tragbarkeit bleibt, ist also nur zum teil definiert. sie ist prinzip bei der gezielten verwendung von symbolen (bekannte, starke, wirksame elemente) und ist offen für weniger definierte elemente. durch die kombination von symbolen aus verschiedenen kontexten - bsp. taschen aus der sportmode (fahrradbekleidung, signalstreifen an polizeijacken und deren kombination bsw. zu einem eleganten schnitt) werden gewohnte muster aufgegriffen und deren aktuelle bedeutungsformen erfragt. dabei liegt die bedeutung weniger in dem produzierten kleidungsstück, sie entsteht aus der begegnung. das bloße produkt ist der preis der ware, die einzige größe, die fest definiert erscheint. die kleidung bleibt moment, ist element eines kommunizierten kontextes.


[krise des körpers 2002/2003]

ornamente zum kvadrat - oder: die ornamentalisierung des alltäglichen.


kleidung als gegenstand und mittel der kommunikation bedient sich einer eigenen sprache. diese funktioniert über symbole und assoiziative momente, die in und durch bestimmte kontexte definiert sind. es gibt signale, kodes und bedingungen für deren wirksamwerden.
und die mode weiß um ihren signalcharakter. dabei kann sich die wirkung auf bloße signalisierung von aufmerksamkeit (im sinne von effekten) beschränken - das auffallen in einer um aufmerksamkeit wetteifernden anonymität in urbanen feldern.
sie kann aber auch darüber hinaus versuchen, die aufmerksamkeit nicht um ihrer selbst willen, sondern als reaktion von reflexion zu bedeuten. also als mittel zur information, die zunächst die signalisierung von kategorien meint, aber darüber hinaus plötzlich eben in dieser funktion fragwürdig wird. fragwürdig durch die kombination von elementen, die verschiedene, gewohnte assoziationsmuster in einem kontext zusammenbringen, der eine frage nach der eigentlichen bedeutung stellt, nach dem, was eigentlich ist, im hinblick auf das, was zeitlich ist.


[sti[l]leben 2003/2004]

so ist auch die kleidung von [artpoint] ein spiel auf verschiedenen ebenen, das je nach träger unterschiedliche bedeutungsebenen angeht.
so mag es einfach gefallen, weil schnitt-, farb- und materialvielfalt viele vorlieben in einer entscheidung einen und also ausdruck einer empfindung ist. oder weil es handgefertigt und irgendwie nur einmal da ist. oder weil es bedruckt ist und mehrsprachig ist oder symbolisch. aber vielleicht auch, weil es nicht aus stoff allein, sondern aus gedanken gewebt ist, dessen nähte die vermittlung bilden, dessen farben, formen, schnitte und drucke sichtbarer, lesbarer ausdruck einer sprache sind, die gesellschafliche phänomene zu entschlüsseln/dekodieren und neu zu kodieren sucht.
einzelne elemente werden aus bekannten strukturen gelöst. so isoliert und als gegenstand der gestaltung von kleidung werden sie zu einem detail-symbol für einen bestimmten kontext. das design, das sich der verschiedenen symbole unterschiedlicher kontexte bedient und diese symbole extrahiert aus ihren erscheinungsformen, ornamentalisiert diese durch und in der kombination von erwartungen und assoziationen, die plötzlich aufeinander treffen und einen neuen kontext kommunizieren.


[dandyism 2004/2005]

die technik des bedruckens unterstützt die ornamentalisierung, ihre anwendung ist selbst ornament unserer zeit. so erklärt sich der siebdruck als wesentlicher bestandteil der [artpoint]-sachen zu einem zeitgenössischen ornament. es symbolisiert das prinzip der wiederholung, das auch dem historischen ornament (muster) zukommt - als reproduktion. aber hier ist es eine erweiterte form der reproduktion: sie ist eine wiederkehr von motiven, die doch irgendwie individuell bleibt, da sie variationen zulässt und abweichungen beinhaltet, die durch die manuelle siebdrucktechnik bedingt sind. denn jeder druck hat etwas beliebiges, gleichbleibendes, wie eine unterschrift (sie zeigt einen namen und bedeutet eine bezugsperson) und hat etwas verändertes (die jeweilige tagesform/gestalt der schrift und das, wofür sie jeweils gesetzt wird).
schließlich kann ein wiederkehrendes element in einer reproduktion schon durch die interaktion mit dem träger mehr als nur wiederholung durch kopieren sein.


identität - oder: freiheit der kombination[?]

die bewusste kombination von merkmalen, die gesellschaftliche phänomene beschreiben (kategorien, klischees) führt im sinne [lena kvadrat]s zu transparenz. es ist ein reflexiver prozess. reflexiv meint den moment, in dem man sich gerade durch das erkennen von bestimmten symbolen, die bestimmte klischees oder kategorien bedeuten, durch die bewusste verwendung in kombination über die einzelnen assoziativen kontexte hinweg zu setzen vermag. dieser moment beschreibt einen prozess, der als ausdrucksmöglichkeit einer freiheit des selbstbildes gilt.
kreativkopf [lena kvadrat] selbst beschreibt ihre position bei [artpoint] und überhaupt aus der sicht einer koordinatorin. sie koordiniert für sich selbst, ist "modul" von dem, was sie entwickelt und ist koordinatorin für andere, als "modul eines systems".
die frage nach der beziehung zur arbeit als suche nach identität oder als ausdruck gegebener identität stellt sich mit dieser auffassung neu:
als teil einer gesellschaft, als symbol dieser, ist auch die eigene arbeit und aufgabe symbolisch. reflexion und identität sind nicht oppositionell, sondern begreifen sich als unabhängige teile, die ihre unabhängigkeit gerade durch reflexion innerhalb eines gegebenen kontextes gewinnen. reflexion meint hier die fähigkeit der bewussten kombination. dabei sucht [lena kvadrat] die kombination nicht, um ein niveau zu schaffen, das klischee auch meint, sondern die kombination dessen, "was gefällt". das indes klammere den eigenen kontext nicht aus, denn auch das künstlerische hat seine kodes, die es zu entschlüsseln gilt.
kombination als ausdruck eines lebensentwurfs, in dem sich jeder seine identität aus dem zusammensetzt, was ihm gefällt - eine individuelle freiheit?
kleidung wird als ausdruck von individualität empfunden und wird nach dem konzept [artpoints] zum zeichen von identität, denn das eigene (das "ich", das "haus") erwächst aus der kombination von teilidentitäten. es ist die formulierung eines individuellen lebensentwurfes nach dem auswahlprinzip.


[uniform 2005/2006]

die möglichkeit dieses lebensentwurfes aus der kombination von vielfältigkeiten (möglichkeiten) verlangt indes die stärke, die identität nicht in der bloßen addition der teilelemente zu suchen.
ein beispiel: man trage nicht nur label um der label willen (lena: "ich trage selbst auch nicht nur [artpoint]-sachen und möchte auch, dass die kunden bewusst kombinieren, was ihnen gefällt"), sondern spiele mit den komponenten, aus denen sich das eigene zusammensetzt. dabei wird es immer mehrere faktoren geben, die eine auswahl bestimmen (was - warum- wofür -für wieviel - für wen und für wie lange).
die identität als schnittstelle, als "brücke" zwischen den teilidentitäten, in der uns das eigene dasein heute begegnet. und die kleidung als eine der sichtbaren sprachen, mit denen sich identität heute kommuniziert.


[falte2006/2007]

wie weit man dabei die individuelle freiheit als möglichkeit begreift, erfahrungen und erwartungen zu kombinieren und in kontexten zu kommunizieren, ist eine frage, die sich nicht über kleidung allein beantwortet, die aber mit ihr gestellt werden kann.

 

lokalisationen des labels.

in moskau gibt es das atelier. der verkauf wird zur zeit über verschiedene geschäfte realisiert, für einen artpoint-laden wird noch nach einer neuen passenden stelle gesucht.

in wien in der westbahnstraße 3, 1070 wien, österreich

in berlin in der rosenthaler straße 66, 10119 berlin, deutschland

www.artpoint.ru / kontakt@artpoint.ru


[moskau—berlin—wien]

text und design: wibx / fotos: artpoint

archive von wibx:
Lena Kvadrat / artpoint / wibx
wiederkehr. neue einkehr./ eine reise nach sankt petersburg / wibx
ein einblick. ein ausblick. geblickte momente / wibx
einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx

Archiv:
36. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens, über das bedeutendste Theaterfestival in Deutschland
35. Gereon Sievernich: Das Kunstwerk entsteht erst im Auge des Betrachters
34. Thomas Oberender: Die Gesellschaft kann und muss lernen sich zu streiten
33. Sommer in russischer Provinz / Olga Schtyrkina
32. Ein Semester in St. Petersburg / Claudia Jutte
31. Herr Ober, das Salz bitte! / Rezension von Philipp Goll
30. einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx
29. Ein Semester in St. Petersburg von Claudia Jutte
28. Berlinskij Episod. Eine Hommage an Berlin, gut gekleidetet deutsche Männer und: das Lachen. Von Philipp Goll
27. Merle Hilbk "Sibirski Punk" : Ein Sommerblues von Anna Brixa
26. ein einblick. ein ausblick. geblickte momente…/Mode in St. Petersburg / wibx
25. wiederkehr. neue einkehr/ eine reise nach sankt petersburg / wibx
24. Über den heroischen Slam ein paar Worte...Kritik einer Zuschauerin. Von Natalja Fedorowa (auf russisch)
23. Lena Kvadrat / artpoint / wibx
22. Sonne für die Ohren - Rezension zum Album "Na svjazi" von Markscheider Kunst von Anton Zykov
21. Der Russe - Ein Porträt von Anton Zykov.
20. Töne des Untergrunds - Russische Straßenmusikanten in Berlin von Anton Zykov.
19. Banja, Wobla und Weniki oder eine Gebrauchsanweisung zur russischen Sauna von Mariana Kuzmina.
18. Der deutsche Gentleman – ein Mythos oder: können russische Frauen und deutsche Männer zueinander finden?, von Julia Harke
17. Literaturkritik von Twerdislaw Zarubin (auf russisch)
16. "Grüne Woche" (2006) von Mariana Kuzmina (auf russisch)
15. Kann ich dir helfen, Bruder? Gedanken zur russischen Brüderlichkeit von Julia Harke
14.1. Das Russen ABC für Berliner
14. Briefe aus Nizhnij Novgorod von Daniela Ließ
13. Wen der Osten schön macht oder warum russische Frauen besser aussehen von Julia Harke
12. Gespräch mit dem Regisseur Egor Konchalowsky von Anja Wilhelmi (auf russisch)
11. Archive Agent-007 (auf russisch)
10. Kunstherbst 2005 (auf russisch)
09. Leben im Wohnheim Multi-Kulti. Ein Erfahrungsbericht aus Frankfurt/Oder von Claudia Jutte
08. Offener "Russischer Slam" in Berlin! (auf russisch)
07. Licht und Farbe in der Russischen Avantgarde (auf russisch)
06. Art Forum 2004 (auf russisch)
05. Die Russischen Filme auf der Berlinale 2005 von Matthias Müller-Lentrodt
04. Gespräch mit dem Architekten Sergei Tchoban (auf deutsch) (auf russisch)
03. Gespräch mit dem Fotografen Boris Michajlov
02. Eine Art Reisetagebuch von Sophie Hofmann
01. Mit der Schauspielerin Irina Potapenko sprach Tim-Lorenz Wurr.