Gereon Sievernich
Dr. Christian von Wistinghausen © Foto: Olga Schtyrkina

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Christian von Wistinghausen: Gute Zusammenarbeit und das Vertrauen zwischen Russen und Deutschen an die nächste Generation weitergeben

Der Verband der Russischen Wirtschaft in Deutschland (VRWD) vertritt die Interessen russischer Unternehmen in Deutschland und fördert den Dialog zwischen russischen und deutschen Wirtschaftskreisen sowie staatlichen Stellen im Sinne einer guten Zusammenarbeit und gegenseitigen Prosperität. Dr. Christian von Wistinghausen, Partner der Rechtsanwaltskanzlei Beiten Burkhardt und Schatzmeister des VRWD, sprach mit 007-berlin über wirtschaftliche Kooperationen, russische Investitionen in Deutschland sowie gesellschaftliche und persönliche Beziehungen zwischen den beiden Ländern.

Olga Schtyrkina, 007-berlin: Wie kam es zu der Idee, den Verband der russischen Wirtschaft in Deutschland zu gründen? Schließlich gibt es doch zum Beispiel auch die Industrie- und Handelskammer, die russischen Unternehmen den Weg auf den deutschen Markt erleichtern und Kooperationen mit hiesigen Firmen fördern soll. Inwiefern unterscheidet sich die Mission des VRWD davon?

Christian von Wistinghausen: Der Verband ist ein unternehmensseitig organisierter Zusammenschluss von Wirtschaftsunternehmen, die in Deutschland bzw. Russland und auf dem deutschen Markt tätig sind. Er wurde mit dem Ziel gegründet, russische Unternehmen in die deutschen Abläufe zu integrieren, und unterscheidet sich in diesem Sinne z.B. von der Handelskammer der Russischen Föderation oder dem Handels- und Wirtschaftsbüro der Russischen Botschaft, das ein Instrument des russischen Staates für die Förderung der russischen Wirtschaft im Ausland ist. Der VRWD ist eine privatwirtschaftliche Vereinigung. Beide unterstützen russische Unternehmen, die nach Deutschland kommen – aber aus unterschiedlichen Perspektiven. Im Verband sind auch solche Unternehmen tätig, die von russischen Unternehmern in Deutschland gegründet wurden und keine Muttergesellschaft in Russland haben. Die Idee des Verbandes ist die Interessenvertretung dieser Unternehmen in Deutschland, und wie man durch den gegenseitigen Erfahrungsaustausch das Geschäft verbessern kann. Deutsche Unternehmen können zu Fördermitgliedern werden, wenn sie sich für den Verband interessieren und russische Unternehmen kennen lernen wollen.

007-berlin: In welchen Bereichen unterstützt der Verband die wirtschaftliche Zusammenarbeit von Unternehmen beider Länder hauptsächlich?

C.W.: Der Hauptbereich ist die Interessenvertretung. Bei den politischen Spannungen, die aktuell bestehen, beschäftigen wir uns z.B. mit der Frage, wie die Verbandsmitglieder unterstützt werden können – und ob sie überhaupt Probleme haben. Die meisten Mitglieder haben in Moment keine politisch bedingten Schwierigkeiten in Deutschland. Generell ist es die Aufgabe des Verbandes, einen Austausch der Unternehmen untereinander und die Mitteilung der gegenseitigen Erfahrung, z.B. bei der Finanzierung durch Banken, zu fördern, wie auch die Unterstützung bei der Regelung bestimmter Fragen mit deutschen Behörden. Solche Probleme können oft effektiver gelöst werden, wenn man nicht als Unternehmen, sondern als Teil eines größeren Verbundes mit den Behörden spricht. Es gibt z.B. die American Chamber of Commerce für amerikanische Unternehmen, und die chinesische Handelskammer in Deutschland. Für russische Unternehmen aber sind wir der einzige in Deutschland gegründete Verband, der landesweit tätig ist.

007-berlin: Kann man von einem Anstieg russischer Investitionen in deutsche Unternehmen in den letzten Jahren sprechen? Welche Branchen sind dabei für russische Investoren am anziehendsten?

C.W.: Schwer zu sagen, da hier niemand eine Statistik führt. Aber generell ist es so, dass Deutschland als Investitionsstandort beliebt ist – nicht nur bei Russen, sondern auch bei anderen, was den Russen natürlich das Leben nicht einfacher macht. Viele interessieren sich dafür, in Deutschland zu investieren, und die Konkurrenz ist groß. Deswegen ist es gerade so wichtig, einen Verband zu haben, der die Interessen der russischen Wirtschaft in Deutschland vertritt und das Image russischer Unternehmen unterstützt. Ich glaube, dass es mehr Wünsche gibt, in Deutschland zu investieren, als tatsächlich realisierte Projekte. Zumal viele sich für die gleichen Dinge interessieren, nämlich für moderne Technologien, für Maschinenbau. Dort ist es jedenfalls so, dass man einen konstanten Fluss von Investitionen sieht. Vor dem Jahr 2005 hat es praktisch keine größeren Investitionen gegeben. Zwischen 2005 und 2008 sind die Investitionen angestiegen und danach stark abgefallen, weil die russischen Unternehmen viel mit sich selbst beschäftigt waren. Seit zwei bis drei Jahren sind die Investitionen wieder angestiegen. Das Interesse befindet sich konstant auf einem relativ hohen Level, und ich glaube, dass das auch so bleibt – weil die russische Wirtschaft sich modernisieren muss und Investitionen in Deutschland häufig der Modernisierung der russischen Mutterunternehmen dienen.

007-berlin: Wie beurteilen Sie die Bedeutung russischer Kapitalanlagen für die deutsche Wirtschaft? Und welche Vor- und Nachteile sieht die deutsche Geschäftswelt umgekehrt bei Wirtschaftsinvestitionen in Russland?

C.W.: Für die deutsche Wirtschaft ist es wichtig, gute Beziehungen zu Russland zu pflegen – doch Russland ist natürlich nicht der einzige Investor in Deutschland. Die großen Investoren sind nach wie vor die EU-Länder. Aus den Nicht-EU-Ländern sind die Amerikaner, die Russen und die Chinesen die wichtigsten Partner. Von der Anzahl der Transaktionen her gibt es mehr russische Investitionen als chinesische, aber von der Tendenz her ist es klar, dass die chinesischen Investitionen immer stärker werden. Die deutschen Investitionen in Russland sind ganz anderer Natur. Seit Mitte der 90er Jahre sind sie konstant und stark gewesen – wesentlich im Bereich Handel, aber auch in der Produktion – weil der russische Markt einfach sehr groß ist, und weil die deutschen Produkte konkurrenzfähig sind und gerne gekauft werden. Wenn man die kritische Masse von Kunden in Russland hat, dann lohnt es sich, die Tochtergesellschaft im Land zu haben und in Russland zu produzieren. Für die deutsche Industrie ist Russland vor allem ein interessanter Markt, während für die russischen Unternehmen Deutschland eher ein interessanter Standort ist, um Technologien zu erwerben. Es gibt allerdings auch Ausnahmen, wie die russische Softwareindustrie, die sehr stark ist und potenzielle Kunden in Deutschland, aber auch in den USA hat. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein russisches Produkt wirklich konkurrenzfähig sein kann.


Dr. Christian von Wistinghausen, Dipl.-Ing. Sergej Rodionov,  Svyatoslav Bychkov, Dr. Albrecht Bochow, Handelsvertreter der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland, Prof. Dr. Andrey V. Zverev, Botschafter der Russischen Föderation Wladimir M. Grinin, Alexander Rahr © VRWD

007-berlin: Am 7. Juli organisiert der VRWD im Rahmen der Konferenz „Unternehmenskongress Deutschland - Russland / Deutschland - Ukraine 2014“ den Runden Tisch “Russische Investitionen in Deutschland – Bedeutung und Herausforderungen“. Welche Teilnehmer werden an diesem Runden Tisch vertreten sein, und welche Ziele haben sie sich gesetzt?

C.W.: Das Ziel ist ganz klar: darüber zu sprechen, wie die russischen Unternehmen sich auf dem deutschen Markt fühlen, wie sie das Investitionsklima in Deutschland wahrnehmen, ob sie Schwierigkeiten haben – auch aufgrund der politischen Spannungen zwischen der EU und Russland – oder ob es das Geschäft nicht beeinflusst, wie sie die Zukunftsperspektive betrachten. Diese Wirtschaftskongresse sind auch Foren, wo man sich trifft. Die Unternehmen kommen, weil sie hören wollen, wie die Stimmung und die Erfahrungen der anderen Unternehmen sind, welche konkreten Schwierigkeiten bestehen, und wie man sich in diesen neuen Situationen zurecht findet. Deswegen werden hier vor allem die russischen Unternehmen vertreten sein, die deutsche Tochtergesellschaften haben. Solche Unternehmen wie „GAZPROM Germania“ sind stark auf Energieversorgung fokussiert und dann auch von den politischen Spannungen betroffen. Kaspersky aber ist weltweit vertreten und wird von der politischen Situation kaum beeinflusst. Und es gibt viele dazwischen, z.B. die großen Unternehmen, die seit Jahren in Deutschland vertreten sind und die Arbeitsplätze schaffen und sichern, was die Politiker immer mögen – die aber deutlich russische Unternehmen sind. Die Frage ist, wie diese Unternehmen in die Zukunft schauen. Es ist sehr wichtig, dass Deutschland eine positive Willkommenskultur für ausländische Unternehmen beibehält. Und darüber soll auf diesem Forum noch einmal diskutiert und sich ausgetauscht werden.

007-berlin: Sechs Jahre lang standen Sie an der Spitze des Moskauer Büros von Beiten Burkhardt. Welche Besonderheiten im Handlungsablauf gibt es in Russland, und bestätigen sich die Stereotype, die in Europa über russische Geschäftsleute bestehen?

C.W.: Die Geschäftskultur ist natürlich eine andere. Das fängt schon im Büro an: es gibt viele junge Mitarbeiter in unserem Moskauer Büro, was in Russland ganz normal ist, während in Deutschland die Mitarbeiter meist älter sind und länger studieren. Die Atmosphäre in den Büros ist jünger und dadurch auch dynamischer. Die Leute arbeiten länger, aber auch ineffizienter, weil sie weniger Erfahrung haben. Es hat sich aber auch vieles geändert: Die Arbeitsabläufe in den Geschäften nähern sich sehr stark den Arbeitsabläufen in Deutschland an, wenn es natürlich eigene Besonderheiten gibt. Man sagt in Deutschland immer: „Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps“ und trennt das Berufliche vom Privaten. In Russland ist es sehr stark so, dass man sich innerhalb eines Unternehmens wie innerhalb einer Familie fühlt und dass die Beziehungen über die Arbeit stark hinausgehen. Wenn man mit russischen Unternehmen arbeitet, ist es sehr wichtig, eine gute menschliche Beziehung aufzubauen, um geschäftlichen Erfolg zu haben. Doch die russische Gesellschaft ändert sich sehr stark. Viele russische Geschäftsführer haben Auslandserfahrung, viele haben in Deutschland, England oder in Amerika studiert und sind sehr kompetent. Deshalb ist es sicherlich ein Fehler, in der Vorstellung zu bleiben, dass Geschäfte in Russland heute noch so gemacht werden, wie sie in 90er Jahren gemacht wurden.

007-berlin: Wie hat sich Ihre Einstellung gegenüber Land und Leuten in diesen Jahren, die sie in Moskau tätig waren, verändert? Sind Ihnen aus diesen Zeiten nicht nur geschäftliche, sondern auch private Kontakte erhalten geblieben?

C.W.: Mein Eindruck von Russland hat sich eigentlich nicht verändert, da ich immer eine gute Meinung von diesem Land hatte. Ich beziehe das auf die Kultur und auf die Menschen. Ich wollte in Russland arbeiten und bin auch nicht enttäuscht worden, habe sehr gern in Russland gelebt und war dort sowohl wirtschaftlich erfolgreich als auch menschlich glücklich. Ich habe dort natürlich viele Freunde behalten, bin aus geschäftlichen Gründen auch noch regelmäßig in Moskau – und wenn ich dann Zeit habe, sehe ich natürlich meine Freunde. Ich glaube, es gibt viele Deutsche, die Russland gut kennen und immer schon eine sehr positive Einstellung zu Russland, zur russischen Kultur, zur russischer Sprache und zur russischen Lebensweise gehabt haben, völlig unabhängig von politischen Tendenzen, die sich ja ändern. Langfristig treten politische Spannungen hinter Jahrhunderten an Erfahrungen im wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zwischen Russland und Deutschland in den Hintergrund.

007-berlin: Wie hoch ist der Vertrauenskredit zwischen russischen und deutschen Unternehmen, und wie kann der Gewinn aus dieser Zusammenarbeit zwischen unseren Ländern in einem internationalen Kontext bei der Bewältigung von Krisenmomenten helfen?

C.W.: Ich glaube, dass es ein sehr großes, tiefes und breites Vertrauen gibt. Es gibt viele Menschen und Familien, die sowohl in Russland als auch in Deutschland zuhause sind. Es könnte aber mehr junge Deutsche geben, die wirklich gut Russisch können und Russisch lernen, weil ja die Sprache die Basis des Austausches ist. In Russland haben die Wirtschaftskreise auch oft Schwierigkeiten, guten Nachwuchs zu finden, der kompetent ist und sich wirklich für Deutschland interessiert. Wir müssen daran arbeiten, dass die Affinität zwischen Deutschland und Russland nicht verloren geht. Ein ständiger Kontakt ist gerade jetzt sehr wichtig: wenn man das russische Fernsehen anmacht, dann kommt da etwas ganz anderes, als wenn man zu den gleichen Themen das deutsche anmacht. Da ist es natürlich sehr hilfreich, wenn man dort Menschen kennt oder hinfährt und sich selber umschaut. Dann hat man ein ganz anderes Bild. Wenn man eigene Erfahrungen sammelt, durch Austausch und durch zwischenmenschliche Beziehungen, dann ist es machbar, dieses große Vertrauen auch tatsächlich an die nächste Generation weiter zu geben.

Das Gespräch führte Olga Schtyrkina

www.vrwd.de


Dr. Christian von Wistinghausen © Foto: Olga Schtyrkina

Archiv:
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