Die Russischen Filme auf der Berlinale 2005 |
Die Präsenz des Russischen Films auf den diesjährigen Filmfestspielen konnte sich sehen lassen. Immerhin war in allen Festivalsektionen zumindest ein russischer Film vertreten. Zum ersten Mal seit vielen Jahren lief auch im offiziellen
Wettbewerb wieder ein russischer Film, Alexander Sokurov’s „Solnze“(„The
Sun“).
......... Es ist nicht die erste Beschäftigung des Regisseurs mit
Japan. Schon 1996 erkundete Sokurov in seinem Dokumentarfilm „Oriental
Elegy“ die japanischen Vorstellungen von Glück, Leben und Tod. Mit „Solnze“
hat er nun ein in Japan immer noch verdrängtes, tabuisiertes Thema aufgegriffen,
das auch von Regierungsseite bislang nicht offiziell bewertet wurde:
die Niederlage und Kapitulation Japans, die das Ende des 2. Weltkriegs
bedeutete und der öffentliche Verzicht des Kaisers auf seinen Göttlichkeitsanspruch.
Sokurov hebt die menschliche Seite des Herrschers hervor,
der erschüttert durch die Ruinen des zerstörten Tokio fährt. Hirohito
trifft den Oberbefehlshaber der amerikanischen Besatzungstruppen,
General McArthur und raucht mit ihm eine Zigarre. McArthur sieht in
Hirohito den „Gentleman“, der bereit ist, die volle Verantwortung für
die Handlungen seiner Regierung und der Armee zu übernehmen. Noch ist
unklar, ob der Kaiser als Kriegsverbrecher, der immerhin den Befehl
für den Angriff auf Pearl Harbour gegeben hat, zum Tode verurteilt wird.
Das Projekt „Solnze“ verdankt seine Produktion dem Koproduktionsmarkt der Berlinale, wo sich der russische Produzent Nicola und dessen französischer Partner MACT Productions letztes Jahr gefunden hatten.
Mit Spannung wurde auch der Film „Nochnoj Dozor“
(„Night Watch“)
......... In apokalyptischen Bildern tobt am Anfang die Schlacht zwischen den vom weißen Magier Boris Geser befehligten Truppen des Lichts und der von Savulon angeführten Armee des Grauens. Ein Waffenstillstand wird beschlossen, der die Tagespatrouille tagsüber und nachts die „Night Watch“ über die Strassen von Moskau herrschen lässt. Aber eines Tages, so besagt die Prophezeiung, wird ein mächtiger Auserwählter kommen, der das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse ins Wanken bringt und die Welt ins Chaos stürzt. Ist Anton dieser Auserwählte, der nun auf der Seite des Lichts für die Nachtpatrouille kämpft, der Magier der anderen Art, der sich mit einem zünftigen Becher Schweinebluts auf seine heroische Aufgabe „eintrinkt“? Als Vampirjäger ist er jedenfalls nicht unbegabt: einen Vampir bringt er zur Strecke in einem blutrünstigen Gemetzel, während die Vampirfrau entkommen kann. Bevor nicht die Nägel und Glassplitter aus seinem Fleisch gezogen sind, kann er die Vampirhatz nicht fortsetzen, läuft dann aber mit Verstärkung aus seiner Armee zur Hochform auf. Es wird geschlachtet, dass das Blut nur so spritzt. Verfolgungsjagden in und auf Hochhäusern, Duelle in den Wolken steigern die Spannung bis zum Bersten., aber nach geraumer Zeit schleicht sich in das apokalyptische Fieber, dessen Schauer auf den Zuschauer niedergehen, eine gewisse Übersättigung. In manchen Sequenzen wirkt der Film einfach überinszeniert. Zu hoch liegt der Reizpegel, wenn wieder Scharen von Krähen zu ohrenbetäubender Musik den gewittrigen Himmel verdüstern und dem Vampir die letzte Stunde schlägt. Der Regisseur wollte einfach zu viel: Fantasy-Thriller, Horrorfilm, Weltuntergangskrimi, Vampirschocker und Splattermovie. Aus allen möglichen Grusel-Genres, mit Zitaten aus „The Matrix“, „Terminator“, „Krieg der Sterne“ oder auch aus „Herr der Ringe“ versehen, wird hier ein hybrider Cocktail gemischt, der streckenweise ungenießbar wird, wenn auch für eingefleischte Liebhaber von Fantasy-Filmen der eine oder andere „Leckerbissen“ dabei sein mag. Im Sommer soll der russische Blockbuster, der im Kino International und später, von schwarzen Kapuzenmännern beschützt, im „Tresor“ seine Premiere feierte, auch in die deutschen Kinos kommen.
Ein Film, der es schwerer haben wird, in die deutschen
Kinos zu kommen, ist der im Panorama gezeigte Debütfilm „Mars“
von Anna Melikian,
......... „Mars“ ist eine unwirkliche Stadt. Lange ist die Zeit vorbei, als die riesige Spielzeugfabrik der Stadt Unmengen von Stofftieren in die gesamte Sowjetunion exportierte. Die Fabrik ist geschlossen. Dafür laufen seltsame Menschen mit bunten Stofftieren durch die Stadt, und auf riesigen Wandbildern thront Karl Marx inmitten einer gläubigen Schar von Stofftieren. In dieser merkwürdig ausgestorben wirkenden Stadt landet durch Zufall eines Tages ein berühmter Boxer, der seine Vergangenheit hinter sich gelassen hat und sich in Moskau in den Zug gesetzt hat, um irgendwohin zu fahren. Aber auch hier geistern noch Bilder von Boxkämpfen durch seinen Kopf. In Mars trifft Boris der Boxer die nicht unattraktive Greta, eine Bibliothekarin, in die Grigorij leidenschaftlich verliebt ist. Für 24 Stunden entsteht eine hoffnungslose Dreiecksgeschichte, die das Leben der drei ziemlich durcheinanderbringt. Immer wieder unterbrechen surreale Sequenzen die Geschichte:
Greta stürzt sich von der Brücke hinab und entschwebt in den Himmel
über der Stadt, Boris wird ko. geschlagen, dann wieder feiern Greta
und Grigorij Hochzeit. Aber das sind alles Traumgespinste. Währenddessen
hört man Marlene Dietrich „Wo sind die Blumen, wo sind sie geblieben“
singen. In welcher Galaxie sind wir gelandet, fragen sich nicht nur
die Protagonisten. Immer wieder erscheint die Milchstrasse auf der Leinwand.
Der russische Forumsbeitrag „Pakostnik“(„Der Schuft“)
......... Als von „dadaistischer Fantasie überschäumender Film“ mit den meisten Wildtieren des Festivals wurde „Pakostnik“ angekündigt, und tatsächlich wimmelt es auf der Leinwand von Hunden, Iltissen und ausgestopften Bären. Als Rache für seine Entlassung baut der schräge Wächter Paschka eine kleine Bombe in das Fell des Teddybären ein. So beginnt ein Kleinkrieg mit dem Hausherrn. Gerne würde der schielende Paschka das Herz von Natascha gewinnen. Ihr Sohn unterhält sich unterdessen mit dem sprechenden Teddybären über den Sinn des Lebens. Die Sinnfrage stellt man sich als Zuschauer irgendwann nicht mehr, man folgt den mehr oder weniger originellen visuellen Ideen des Films, der insgesamt etwas disparat wirkt und zu wenig durchkomponiert ist. Die Einfälle sind z. T. verblüffend, aber es entstehen keine dramaturgisch überzeugenden Strukturen, so dass diese ins Leere verpuffen. Da wechseln Gruppenbilder im Garten mit Bettszenen ab, Brückenarbeiten folgen Billardspielen und am Ende gibt es ein rauschendes Feuerwerk. Ratlos folgt man dem unbeholfenen Spiel der Laiendarsteller, über denen ein ständiger Grauschleier hängt. Die von Detkina beschworene „Magie der S/W-Bilder“ kann sich hier nur sehr selten entfalten.
Eine echte Entdeckung war der Film von Andrei Kravchuk „Italianetz“(„Der Italiener“), ......... der als Weltpremiere auf dem Kinderfilmfest lief und neben einer lobenden Erwähnung den Großen Preis des Kinderhilfswerks erhalten hat. Das Waisenkind Vanja ist sechs Jahre alt und soll demnächst das Waisenheim verlassen. Vanja ist ausgewählt worden, bald ein neues Leben in einer Adoptivfamilie in Italien zu beginnen. Die Heimkinder nennen ihn fortan nur noch den „Italiener“. Aber Vanja kommen immer mehr Zweifel, ob er Russland verlassen soll. Wird ihn in Italien seine Mutter noch finden können? Kurz nachdem sein Freund adoptiert wurde, ist dessen leibliche Mutter im Heim erschienen, um ihn nach Hause zu holen. Vanja lernt lesen, um die in einem Safe verschlossenen Dokumente lesen zu können. Er will sich auf die Suche nach seiner richtigen Mutter machen und flüchtet schließlich aus dem Heim. Vanja steigt in die Eisenbahn und mit der alten Adresse fährt er zu dem Ort, wo er seine Mutter vermutet. Die Heimeltern, die nicht auf die Provision für Vanjas Adoption verzichten möchten, versuchen ihn vergeblich am Zielbahnhof abzufangen. So folgt ein Abenteuer auf das nächste. Seine Odyssee endet erst, als er seine Mutter ausfindig macht und bei ihr aufgenommen wird. „Italianetz“ ist ein warmherziger, wunderbarer Film über
das Schicksal eines Waisenjungen, der um sein Recht auf Liebe und Geborgenheit
kämpft und mutig alles auf eine Karte setzt. In dem Gesicht des großartigen
Kinderdarstellers Kolya Spiridonov spiegelt sich der trotzige Wille
wider, nicht aufzugeben, man fiebert bis zum Ende mit dem Schicksal
des Jungen mit. Dr. Matthias Müller-Lentrodt, Berlin Archiv:
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