Strelka. © Claudia Jutte

Unterwegs in St. Petersburg - Teil 1

Panzerkreuzer Aurora © Claudia Jutte Die Leuchttürme am Gedenktag zur
Blockade © Claudia Jutte

Schon allein die Petersburger Innenstadt bietet einen wunderschönen Anblick – man könnte sagen, sie ist ein open-air-museum, das mit seinen unzähligen architektonischen Wunderwerken jeden Spaziergang zu einem Ausflug in die Kunstgeschichte werden lässt. Auch für mich ist die atemberaubende Stadtsilhouette von der Uferpromenade Universitätskaja Nabereschnaja aus selbst nach bereits fünf Monaten Aufenthalt und beinahe täglichem Betrachten noch immer faszinierend. 

Im Zirkus © Claudia Jutte Blick von der Strelka © Claudia Jutte

Entsprechend der nun doch kalten Jahreszeit (seit ungefähr zwei Wochen hat der Frost die Stadt fest im Griff) fallen Spaziergänge eher kurz aus. Doch es gibt eine Menge anderer Dinge, mit denen man seine Freizeit gestalten kann. Die derzeitigen Wetterbedingungen laden da natürlich zum Schlittschuh- oder Skifahren ein. Dass Russland im internationalen Wintersportwettbewerb mit Stolz eine der führenden Plätze einnimmt, ist besonders auf den Eisflächen nicht schwer zu übersehen, wenn die Petersburger Jugend pirourettendrehend ihren Idolen nacheifert.

In der Eremitage © Claudia Jutte Großer Ballsaal im Katharinenpalast in
Puschkin © Claudia Jutte

Ein meiner Meinung nach besonders schöner Ort zum Runden drehen ist die im Norden der Stadt gelegene Jelagin-Insel. Zwar braucht es noch ein bisschen Geduld bis das Wasser ausreichend zugefroren ist, doch dann kann auch ich mich seit langer Zeit mal wieder auf echtem Eis in die Kufen schwingen. Dank des Autofahrverbots ist dieser Ort auch im Sommer eine ideale Möglichkeit, um sich von dem hektischen Stadtleben zu erholen.

Hockeyspiel Ska - Kazan © Claudia Jutte Das deutsche Paar beim Abschlussabend
des Grand Prix im Eispalast © Claudia Jutte

Außer den natürlichen Eisbahnen gibt es in der Stadt noch zahlreiche Hallen, in denen man von Abfahrtsski bis Schlittschuhlaufen das gesamte Wintersportprogramm absolvieren kann. Die weniger sportlich Aktiven aber dennoch Wintersportbegeisterten können dort ab und an auch den Profis zusehen. Nicht einmal annähernd so grazil wie die Eiskunstläufer, aber mindestens genauso beliebt wie erfolgreich sind die russischen Eishockeymannschaften. Für mich war es ein sehr beeindruckendes Ereignis, eins der diesjährigen Saisonspiele der Petersburger Mannschaft Ska zu besuchen – nicht zuletzt, um live mitzuerleben, mit welcher Euphorie die Anhänger mit ihren Favoriten mitfieberten. Ich habe mich auch sehr über den Sieg von SKA gefreut, jedoch wohl eher deshalb, weil ich nach dem Spiel nicht mit hunderten wütenden Fans nach Hause fahren wollte. 

Politisches Museum © Claudia Jutte In der Erlöserkirche © Claudia Jutte

Viel ruhiger ist es in den zahlreichen Museen, jedenfalls außerhalb der Reisesaison, wenn nur wenig Touristen die Stadt bevölkern. Vor allem in diesem, für mich ungewöhnlich dunklen Winter nutze ich diese Schlechtwetteralternative oft. Das wohl mit Abstand berühmteste Petersburger Museum ist die Eremitage, deren tausende Exponate den Glanz der alten Zarenzeit erahnen lassen. Doch eher nach meinem Geschmack sind die kleinen, zum Teil ziemlich verstaubten Museen, bei denen sich die meist älteren Museumsmitarbeiterinnen über jeden der leider seltenen Museumsbesucher freuen und die Ausstellungsstücke liebevoll kommentieren. Die Eintrittspreise richten sich, zur Überraschung und auch zum Unverständnis vieler westeuropäischer Touristen, nach der Staatsangehörigkeit. Bürger der Russischen Förderation bezahlen demnach im Schnitt drei Mal weniger als Angehörige anderer Nationalitäten.

Ballet Giselle © Claudia Jutte Ballet Giselle © Claudia Jutte

In Staunen versetzen mich die Aufführungen in den St. Petersburger Theatern. Gemäß der alten Theaterschule werden in den traditionellen, namhaften Theatern hauptsächlich klassische Stücke aufgeführt. Doch die Petersburger Theaterwelt ist durch sämtliche Genres gestaffelt, sodass das Repertoire für jeden Geschmack etwas zu bieten hat. Am beeindruckendsten waren für mich allerdings die Ballett- und Opernvorstellungen, die jeden mit ihrer perfekten Inszenierung bestechen.

Mussorgskij-Theater © Claudia Jutte Oper Faust © Claudia Jutte

In St. Petersburg, ganz gemäß seinem Status als zweitgrößte Metropole Russlands, finden regelmäßig große Ereignisse statt, in die die gesamte Stadtbevölkerung einbezogen wird. Oft sind diese mit der eigenen Stadtgeschichte verbunden und werden voller Begeisterung von den Petersburgern begangen. Am 27. Januar wurde der Jahrestag der Befreiung Leningrads von der faschistischen Blockade 1944 festlich auf dem Palastplatz gefeiert. Mit imposanter Laser- und Musikshow und Soldatenaufmarsch wurde der Opfer gedacht und denjenigen, die in den harten 900 Tagen die geliebte Stadt verteidigt haben. An diesem Tag, wie auch an anderen besonderen Feiertagen, wurden die Fackeln der beiden roten Leuchttürme, dem Wahrzeichen der Wassilevskj-Insel, angezündet.

Zum Gedenken an die Befreiung von der
Blockade © Claudia Jutte
Zum Gedenken an die Befreiung von der
Blockade © Claudia Jutte

Anhand wichtiger Feiertage wie diesem, offenbart die Petersburger Bevölkerung ihren unglaublich leidenschaftlichen Stadtpatriotismus – ein Phänomen, das man sich in Deutschland in dieser Form nicht vorstellen kann. Aber in Russland heißt es: St. Petersburg oder Moskau. Und auch ich habe meine Wahl schon längst getroffen…

Claudia Jutte

Februarr 2007
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>>>...2. Tram, Trollejbus und Metro - Überleben im St. Petersburger Verkehr
>>>...3. St. Petersburg im Einkaufsfieber
>>>...4. Unterwegs in St. Petersburg - Teil 1
>>>...5. Unterwegs in St. Petersburg - Teil 2
>>>...6. Utschitsa, utschitsa, utschitsa…

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