Utschitsa, utschitsa, utschitsa…
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Das erste und einzige Josif
Brodskij Denkmal Russlands |
Die letzten mitternächtlichen „halâva lovis'“- Rufe in Hoffnung
auf ein gut bestandenes Examen oder „saschjot“ verhallen im Wohnheim
und somit geht auch die zweite „sessia“, also Prüfungsphase, während
meines Aufenthaltes hier vorüber. Und wie auch die Abreise der ausländischen
Studenten immer näher rückt, so bereiten sich ebenso die russischen
auf den Beginn der Sommerferien vor.
Wie ist aber das Leben an der Sankt Petersburger Staatlichen Universität?
Wie ist es organisiert und welche Unterschiede gibt es zur deutschen
Universität?
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Hof der Philologischen Fakultät |
Studieren ist hier, bezüglich Studiengebühren, enger als bisher
noch in Deutschland mit Geld verbunden. Bereits nach den im Eintrittsstest
erbrachten Leistungen werden die Studenten eingeteilt in „platniki“
und „budschetniki“, das heißt diejenigen, die fortan für das Studium
aus eigener Tasche aufkommen müssen und diejenigen, die vom Staat
Unterstützung bekommen.
Die Studiengebühren unterscheiden sich je nach Fakultät. Als kostenintensivste
Fakultät an der SPbGU gilt die Juristische Fakultät mit einem Semesterbeitrag
von circa 1700 Euro und dem berühmtesten Absolventen Vladimir Putin.
Neben den Studiengebühren müssen die „platniki“ (von platit',
was „zahlen“ bedeutet) im Gegensatz zu den Stipendiaten in vollem
Umfang für den Wohnheimplatz aufkommen. Budget-Empfänger bekommen
darüber hinaus noch ein monatliches Stipendium, das man mit umgerechnet
20 Euro jedoch kaum als solches bezeichnen kann. Im weiteren Studienverlauf
hängt es dann von den Leistungen im Studienjahr ab, ob budschetniki
eventuell dieses Entgelt gestrichen bekommen.
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Denkmal für den Großen Vaterländischen
Krieg |
Das, was in Deutschland von Studenten immer stärker befürchtet
wird, ist hier fester Bestandteil in der Bildungsstruktur. Mehr
oder weniger ist Studium also eine Frage des Geldes. Dieses hat
unterschiedlichste, nicht nur negative Folgen.
Positiv anzumerken ist, dass unter einem solchen Gelddruck das intensive
Lernen gefördert wird. Andererseits ist es allgemein bekannt, dass
sich die Beziehung der Universität zu Studenten, die (bzw. deren
Eltern) die Ausbildung selbst bezahlen, anders gestaltet als zu
den „budschetniki“. Dies drückt sich in einer milderen Zensurenvergabe
aus, weil man die Geldgeber natürlich ungern aus ihrem Dienst als
solche entlässt.
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im Universitätsgelände |
Im Gespräch mit Studenten wurde mir immer wieder bewusst, dass
der Universitätsabschluss oft nur um eines Abschluss willens an
sich angestrebt wird, weil der Titel bei der Bewerbung um jeden
beliebigen Job Vorteile einbringt, völlig egal, ob es sich dabei
um eine Arbeit nach der Spezialisierung handelt oder nicht. Das
panikhafte Suchen einer Bestimmung im Berufsleben, so wie es bei
vielen Studenten in Deutschland verbreitet ist, erscheint vor diesem
Hintergrund eher lachhaft und verwöhnt.
Als ausländischer Student hat man, so habe ich es während zwei
Semestern Austausch erlebt, bezüglich der Bewertung von Leistungen
Vorteile, was natürlich unter anderem vom Dozenten abhängt. Im Grunde
jedoch befindet man sich in einer Art Sonderstellung, die sich durch
eine geschwächtere Erwartungshaltung ausdrückt. Ein ernsthaftes
Studieren wird dabei allerdings weniger gefördert. Seitens der Studenten
jedoch, so habe ich die Erfahrung gemacht, wird man als vollwertiger
Kommilitone eher nicht wahrgenommen. Aufgrund der schulisch aufgebauten
Universitätsstruktur in Studienkursen und Gruppen, hat man es als
stotternder „Fremdkörper“ im fest eingefügten Klassenkollektiv eher
schwer.
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Das 12-Kollegien-Gebäude |
Was den Universitätsablauf an sich betrifft, so kann ich mich
auch nach zwei Semestern an vieles nicht gewöhnen, vor allem nicht
an den Umgang zwischen Studenten und Dozenten untereinander. Einerseits
ist die aus frühen Schultagen bekannte Respekterweisung durch Aufstehen
vor Beginn der Vorlesung noch immer die gängige Begrüßungsform besonders
in den jüngeren Kursen, andererseits aber stört sich weder Student
noch Professor daran, bei Telefonanruf das Handy zu zücken, die
laufende Veranstaltung zu verlassen und vor der Tür das Gespräch
in Ruhe fortzusetzen. Das ständige Zuspätkommen, Quatschen oder
Nachziehen des Lidstriches während der Vorlesung lassen ebenso kaum
eine mir bekannte Universitätsatmosphäre aufkommen. Da ich selbst,
für deutsche Verhältnisse, jung mit dem Studieren angefangen habe,
kann ich nicht behaupten, dass ein solches Verhalten unbedingt mit
dem Alter zusammenhängt, sondern vielmehr mit der Organisation der
Studienlandschaft und auch des Schulaufbaus, die hier Selbstständigkeit
und ein „Aufsichgestelltsein“ kaum unterstützen.
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Einer der wohl längsten Gänge
der Welt - im Gebäude der 12 Kollegien |
Nicht weniger geschockt war ich von den Lehrmethoden an der Fakultät,
die mich oft an der Qualität der Ausbildung zweifeln ließen. Besonders
dann, wenn unter dem Verfassen von Hausarbeiten das Herunterladen
aus dem Internet verstanden wird oder Diplome ohne Wissen über den
Inhalt verteidigt werden. Bei alledem darf man nicht vergessen,
dass Downloaden von Arbeiten, Spicken in Prüfungen oder ähnliches
sicherlich auch in Deutschland keine Ausnahmen sind und dass selbst
der prestigereiche Name „Staatliche Universität St. Petersburg“
dergleichen nicht ausschliesst.
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Das neue Denkmal vor dem Haupteingang
der Universität - Glücksbringer für Prüfungen |
Positiv überrascht hat mich allerdings der Fakt, dass viele Studenten
schon bereits während des Studiums ihrer Spezialisierung entsprechenden
Tätigkeiten nachgehen und so praktische Erfahrungen sammeln können.
Das Absolvieren von unentgeltlichen Praktika, wie bei uns üblich,
ist hier nicht verbreitet.
Soweit also ein kleiner Einblick in das Universitätsleben an der
SPbGU, allen Studierenden in Deutschland für die bervorstehenden
Prüfungen: ni puha ni pera!
Claudia Jutte
Juni 2007
Kommentare zur Weiterleitung an: redaktion@007-berlin.de
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