Irina Potapenko

Gut, erzähl doch mal am Anfang, wer du bist, also wenn man dich gar nicht kennt, wie würdest du dich vorstellen?

Also, ich heiße Irina, komme aus der Krim, aus der Halbinsel Krim am Schwarzen Meer, es ist sehr schön dort (lacht), ich bin jetzt 16 Jahre alt und gehe noch hier in Berlin zur Schule. Das ist eine Gesamtschule und die Hälfte der Schule sind Russen, das ist so eine Sprachschule und da lerne ich wie in Russland meine Muttersprache und die Lehrer sind auch Russen.

Seit wann bist du in Deutschland?

Ich bin seit 8 Jahren in Deutschland, also sozusagen die Hälfte meines Lebens bin ich hier in Deutschland.

Und seit wann arbeitest du in Deutschland? Du hast nämlich gar nicht erwähnt, dass du ´nebenbei` Schauspielerin bist.

(Lacht) nebenbei ja. Naja ich habe angefangen mit 12 in einem Kammertheater zu spielen und kurz darauf bin ich dann an die Volksbühne gekommen und bin dort schon 2 Jahre. Es sind 3 verschiedene Aufführungen und alle von russischen Dichtern: Der Idiot, Meister und Margarita und Erniedrigte und Beleidigte.

Was hast du am liebsten gespielt, von der Rolle oder der Inszenierung her?

Meister und Margarita.

Ihr spielt jetzt Meister und Margarita auch in Moskau, ist das etwas Besonderes damit nach Moskau zu gehen?

Ja klar, weil Theater und Kultur wird in Moskau sehr geschätzt, da sind sehr große Theaterschulen, sehr große Schauspieler und es ist schon eine Aufregung da, vor allem wie die Russen das russische Stück von einem deutschen Regisseur aufnehmen werden. Es ist schon eine Aufregung da. Ich meine, Meister und Margarita ist überall in Russland bekannt und es ist schon schwierig zu lesen und es ist sehr schwierig auch von der Inszenierung her, sehr schwer zu verstehen und es ist klar, dass zum Beispiel ein deutscher Regisseur ein anderes Verständnis und andere Vorstellungen von dem Stück hat als ein Russe. Deshalb bin ich sehr gespannt.

Und deine persönlichen Interessen in der Kultur, empfindest du so etwas wie russische Wurzeln?

Ja, ab und zu höre ich russische Musik, aber nicht ausschließlich. Ich bin schon daran gewöhnt, englische und amerikanische Lieder zu hören. Man gewöhnt sich einfach daran und man hört hier auch nicht so oft russische Musik. Und wenn, dann irgendwo in der Disko oder auf Kassette, aber das ist schon ein bisschen anders als in Russland, aber klar, ich höre gerne russische Musik.

Und magst du russische Filme?

Ja, es gibt tolle alte Filme mit wirklich guten Schauspielern, aber die neuen gefallen mir nicht so gut. Vielleicht liegt das an den Regisseuren, ich weiss nicht, es ist alles so gewalttätig geworden in den Filmen, es gab früher schönere Geschichten, da ging nicht alles um Gewalt und Drogen und Verbrechen. Aber vielleicht liegt das daran, dass sich die Menschen ändern und die Welt sich ändert.

Aber es gibt ja schon eine ziemlich starke und aktive russische Community hier in Berlin, es gibt Diskos, Konzerte und Restaurants....

Ja klar, es gibt schon viele Russen hier. Wir haben Bekannte, die jetzt selber ein Restaurant aufmachen und das ist zum Beispiel sehr gut, weil da gibt es russische Gerichte, also Pelmeni und Borscht und so, klar, dass esse ich gerne. Und russische Diskos sind halt auch jedes Wochenende angesagt. Aber man wechselt auch, man geht auch woanders hin.

Wohin zum Beispiel, was sind so deine Lieblingsorte in Berlin?

Na ja, wo ich wohne, so Prenzlauer Berg, Danziger Straße im Park, Friedrichshain. Da kann man sich sehr gut entspannen, oder halt im Freundeskreis privat. Im Winter gehen wir sehr oft in Bars Billiard spielen.

Und du lebst auch hier im Prenzlauer Berg?

Ja, ich lebe noch mit meinen Eltern. Also, das heißt, als einzige von meiner Familie ist meine Mutter hier. Mein Vater ist noch in Russland und viele andere Verwandten überall in der Welt verstreut. Ich fahre aber oft zurück nach Russland, wenn ich Ferien habe. Ich denke, jeder Russe hat immer Heimweh, egal wie lange er woanders lebt.

Wenn du sagst, du hast Heimweh, was vermisst du am meisten in Berlin ?

Das Meer, das Schwarze Meer. Ich komme aus einer Kleinstadt, da gibt es mehr von der Natur zu sehen und vor allem die Leute, die Familie, die Freunde.
Ich denke, in Russland trauen sich die Leute mehr, einen Menschen anzusprechen. Vielleicht hängt das auch mit dem großen Glauben der Leute zusammen, sie versuchen, freundlicher zu sein. Obwohl ich finde nicht, dass Deutsche unfreundlich sind oder so, aber irgendwie trauen sie sich mehr, sie sind offener.
Bei uns ist es zum Beispiel so, dass, wenn jemand zu Gast kommt, gibt es immer einen vollen Tisch, egal ob zu Mittag- oder Abendessen, der Gast kommt immer zu einem "Großen Tisch" sozusagen.

Wenn du Freunde einlädst, die noch nie in Berlin waren, was würdest du ihnen zuerst zeigen?

Alexanderplatz. (Lacht) Ich weiss nicht, ich habe noch nie darüber nachgedacht. Große Einkaufszentren vielleicht, Potsdamer Platz zum Beispiel. Das ist schon interessant, weil es so nach New Yorker Stil gebaut ist. Und zum Ku-Damm würde ich fahren. Aber Berlin ist eine große Stadt.

Gefällt dir der New Yorker Stil ? Würdest du gerne in New York leben?

Natürlich sieht das nicht schlecht aus, das sind sehr interessante Strukturen, die die dort machen, aber nee, die Stadt ist mir zu voll. Vielleicht bin ich auch nicht gewöhnt an so ganz große Städte. Ich liebe die Altbauten in Prenzlauer Berg, das gefällt mir mehr als die Neubauten. Ich finde auch in Berlin den Osten irgendwie ruhiger und die Menschen sind nicht so hochnäsig. (Lacht)

Erzähl mal, wie dein Tagesablauf aussieht in einer normalen Woche.

Also, eigentlich ist jeden Tag Schule angesagt, ab acht Uhr, und wenn Proben sind, dann ist er sehr hart, dann muss ich früher aus der Schule gehen und wahrscheinlich den ganzen Tag am Theater verbringen und dann wieder morgens zur Schule.
Aber jetzt sind wir mit den Proben fertig und es gibt nur Vorstellungen am Wochenende. Sonst komme ich von der Schule nach Hause, mache Hausaufgaben und dann in den Park gehen oder so. Ganz normales Leben halt.

Ist das schwer mit der Schule zu vereinbaren?

Ja, wenn Proben sind, ist es sehr schwer, dann bin ich zu müde und zu unausgeschlafen und habe nicht soviel Zeit für die Schule. Aber die Lehrer haben schon Verständnis dafür. Es waren auch welche in der Vorstellung und die fanden das super.

Und wenn ihr im Ausland seid, wie ist das so?

Ja, wir sind viel im Ausland, ich komme gerade aus Kanada und wir haben auch in Paris gespielt. Das ist schon interessant. Das Publikum ist ganz anders, die Leute schenken Blumen und so und haben keine Angst, dem Schauspieler ihre Meinung zu sagen. Hier in Deutschland traut sich nie ein Mensch alleine zu lachen, es ist immer nur so Massenstimmung. Das ist schon traurig, dass alle so auf die Meinung der anderen Zuschauer achten. Die haben, glaube ich, Angst, anders zu sein als die Anderen.

Kannst du deine Mutter mitnehmen, wenn ihr im Ausland spielt?

Früher musste meine Mutter immer mitkommen, weil ich noch nicht alleine reisen durfte und Moskau ist jetzt das letzte Mal, dass sie mit muss. Aber Moskau ist sowieso was Besonderes, weil ich noch nie in Moskau war und es kommen einige von meinen Verwandten zu der Vorstellung.

Und deine Freunde sind die auch Schauspieler?

Nein. Ich habe gute Freunde, die auch am Schauspiel interessiert sind, aber sonst nicht. Ein paar von meinen Freunden haben eine Band: G-Rhyme, die machen Hip Hop auf russisch, wirklich gute Musik. Die haben jetzt auch einen Plattenvertrag. Aber sonst sind das ganz normale Schüler.
Ich fühl´ mich auch jetzt noch nicht als Schauspielerin, ich habe noch zu wenig erreicht dafür.

Was denkst du, wie deine Zukunft aussieht?

Ich habe vor, Abitur zu machen und danach will ich hier in Berlin auf eine Schauspielschule gehen. Und ich versuche, mich an der Volksbühne festzuhalten. Ich bin nicht der Typ, der so leicht umziehen kann und das Alte einfach so vergessen. Deswegen möchte ich auf jeden Fall einen späteren Beruf hier in Berlin haben und möglichst hier bleiben.

Gibt es eine Rolle, die du gerne spielen würdest, oder Schauspieler, mit denen du gerne zusammenspielen würdest?

Ich mag die Leute hier an der Volksbühne. Es ist auch so, dass ich die Leute hier gut kenne und das ist wichtig, weil die immer alle älter sind als ich und wenn man mit denen gut kann, dann traut man sich auch mehr, das ist sehr wichtig.
Und als Rolle, keine Ahnung, irgendwas explosives. Ich weiss nicht - irgendetwas, wo man richtig rumschreien kann, so richtiges Ausflippen auf der Bühne. Es ist sehr gut, seine Gefühle auf der Bühne rauszulassen, Sachen vom Alltag, von den Freunden und der Familie, das kann man alles gut auf der Bühne rauslassen. Ich bin so ein Mensch, der sich immer ganz doll reinversetzt in die Situation der Menschen, ich frage mich, was ich in der Situation tun würde. Das gefällt mir auch am Theater mehr als im Film, da spielen mehr Gefühle mit. Ich würde gerne am Theater bleiben, da arbeitet man mit einem Ensemble zusammen, mit Menschen, die man kennt.

Was denkst du, wie Berlin in der Zukunft aussieht?

Schwer zu sagen, ich denke, dass die Stadt aggressiver sein wird, mehr Verbrechen und so. Das ist mein Gefühl in den letzten Jahren. Vielleicht werde ich aber auch nur erwachsener und bemerke das alles stärker.

Und die Kultur?

Ich denke nicht, dass die Kultur noch so gefragt sein wird. Bei meinen Freunden zum Beispiel gehen die meisten mehr ins Kino oder ins Internetcafe, aber Theater ist nicht mehr so die Sache.

Mit Irina Potapenko sprach Tim-Lorenz Wurr.
Die Fotografien wurden von Ole Renneke gemacht.

Archiv:
36. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens, über das bedeutendste Theaterfestival in Deutschland
35. Gereon Sievernich: Das Kunstwerk entsteht erst im Auge des Betrachters
34. Thomas Oberender: Die Gesellschaft kann und muss lernen sich zu streiten
33. Sommer in russischer Provinz / Olga Schtyrkina
32. Ein Semester in St. Petersburg / Claudia Jutte
31. Herr Ober, das Salz bitte! / Rezension von Philipp Goll
30. einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx
29. Ein Semester in St. Petersburg von Claudia Jutte
28. Berlinskij Episod. Eine Hommage an Berlin, gut gekleidetet deutsche Männer und: das Lachen. Von Philipp Goll
27. Merle Hilbk "Sibirski Punk" : Ein Sommerblues von Anna Brixa
26. ein einblick. ein ausblick. geblickte momente/Mode in St. Petersburg / wibx
25. wiederkehr. neue einkehr/ eine reise nach sankt petersburg / wibx
24. Über den heroischen Slam ein paar Worte...Kritik einer Zuschauerin. Von Natalja Fedorowa (auf russisch)
23. Lena Kvadrat / artpoint / wibx
22. Sonne für die Ohren - Rezension zum Album "Na svjazi" von Markscheider Kunst von Anton Zykov
21. Der Russe - Ein Porträt von Anton Zykov.
20. Töne des Untergrunds - Russische Straßenmusikanten in Berlin von Anton Zykov.
19. Banja, Wobla und Weniki oder eine Gebrauchsanweisung zur russischen Sauna von Mariana Kuzmina.
18. Der deutsche Gentleman ein Mythos oder: können russische Frauen und deutsche Männer zueinander finden?, von Julia Harke
17. Literaturkritik von Twerdislaw Zarubin (auf russisch)
16. "Grüne Woche" (2006) von Mariana Kuzmina (auf russisch)
15. Kann ich dir helfen, Bruder? Gedanken zur russischen Brüderlichkeit von Julia Harke
14.1. Das Russen ABC für Berliner
14. Briefe aus Nizhnij Novgorod von Daniela Ließ
13. Wen der Osten schön macht oder warum russische Frauen besser aussehen von Julia Harke
12. Gespräch mit dem Regisseur Egor Konchalowsky von Anja Wilhelmi (auf russisch)
11. Archive Agent-007 (auf russisch)
10. Kunstherbst 2005 (auf russisch)
09. Leben im Wohnheim Multi-Kulti. Ein Erfahrungsbericht aus Frankfurt/Oder von Claudia Jutte
08. Offener "Russischer Slam" in Berlin! (auf russisch)
07. Licht und Farbe in der Russischen Avantgarde (auf russisch)
06. Art Forum 2004 (auf russisch)
05. Die Russischen Filme auf der Berlinale 2005 von Matthias Müller-Lentrodt
04. Gespräch mit dem Architekten Sergei Tchoban (auf deutsch) (auf russisch)
03. Gespräch mit dem Fotografen Boris Michajlov
02. Eine Art Reisetagebuch von Sophie Hofmann
01. Mit der Schauspielerin Irina Potapenko sprach Tim-Lorenz Wurr.