Berlinskij Episod |
Eine Hommage an Berlin, gut gekleidete deutsche Männer
und: das Lachen
Von Philipp Goll "Ich mag den Morgen in Berlin. Da fahre ich von Charlottenburg
bis Berlin-Mitte, schaue der Sonne zu, wie sie ihre ersten Strahlen auf
Berlin wirft und beobachte all die Menschen die gerade zur Arbeit fahren
- mir gefällt Berlin". Wir spazieren die Friedrichstraße längs. Des Russen Lieblingsbeschäftigung
- werstweite Spaziergänge, egal wo entlang - wird sie in Berlin nicht
untreu. Neben uns wird Englisch gesprochen. In Berlin seien viele
Ausländer, sagt Mascha. Besonders viele Türken würde sie sehen. Just in
diesem Moment braust ein "Bumer" (russ. für BMW) vorbei. Aus dem Fenster
gebeugt, dreht sich ein junger südländisch aussehender Mann nach uns.
Er pfeift Mascha nach. Sie schüttelt verächtlich den Kopf über ihn und
sagt, dass es solche Leute auch in Moskau gebe. Ist Berlin eigentlich
eine gefährliche Stadt, in der man Angst haben müsse? Sie entgegnet leichthin,
dass sie im Gegensatz zu Moskau ohne weiteres nachts durch die Straßen
läuft. Dabei habe sie mehr Angst vor dem Widerhall ihrer eigenen Schritte,
als vor irgendetwas Anderem. "Berlin ist ja insgesamt eine sehr leise
Stadt", bekundet sie verwundert. Eine, die auszog, um das Fürchten zu
lernen, ist Mascha definitiv nicht. In der S-Bahn schnarcht ein Mann durchs Abteil. Den Kopf tief vorn herüber eingeknickt, ist er, sichtlich beseelt von Alkohol, eingeschlafen. Fahrausweiskontrolle. Die Kontrolleure versuchen ihr Bestes, um den guten Mann zu wecken. Sie rütteln, rufen, aber der Erfolg bleibt aus. Erst langsam kommt er zu sich, kann aber keinen Fahrschein vorweisen und wir werden Zeuge, wie er in flagranti beim Schwarzfahren erwischt wird. "Das kostet 40 Euro", Mascha weiß genau, wie teuer es ist. Ob das wohl eine ganze Stunde im Goethe-Institut ausfüllt? Thema: "Ordnung muss sein! Regelgerechtes Verhalten in Deutschland". Sie verneint. Einer Mitstudentin aus dem Goethe Institut sei es passiert, weil sie den falschen Fahrschein gekauft habe. Daher wisse sie es. Mascha schüttelt verständnislos den Kopf: "wer sich Alkohol kaufen kann, der kann sich jawohl genau so gut eine Fahrkarte für das Geld kaufen", urteilt sie brüsk über den Mann. Die mitfühlende russische Seele - anscheinend nicht so weit wie das Land, in dem sie zuhause ist. Auch der für die Berliner S-Bahn so charakteristische Abgesandte vom "Straßenfeger"-Obdachlosenmagazin verkürzt die Fahrt. Mascha versteht nicht: "Das sind doch noch so junge Menschen, warum haben die keine andere Arbeit, als diese blöden Zeitungen zu verkaufen". Wichtige Fragen, die "wichtige" Ohren benötigen, aber selbst wenn sie von ihnen vernommen würden, wahrscheinlich unbeantwortet blieben - aber so ist das nicht nur in Deutschland. Auf die Frage, was ihre Eltern denn beruflich täten, antwortet sie: "das ist ein Geheimnis" und lacht. Dann erzählt sie von ihrem Vater, der in der Autobranche tätig ist. Was ihre Mutter mache, wisse sie aber nicht genau. Ihre Schwester sei jedenfalls eine "Sportsmenka", Sportlerin also. Es hört sich an, als hätte sie schon einen Beruf, und das mit 18 Jahren. Doch das entspricht nur der Regel. In Russland weiß man meistens schon früh über seine spätere Berufung Bescheid. Und wo sehe sie sich in ein paar Jahren? Sie überlegt…und weiß es nicht. Oder doch: "Mit Sicherheit nicht verheiratet". Das sei nun wirklich nicht ihr Ziel, einfach zu heiraten und dann mal weiterzusehen. Sie kennt viele Frauen, bei denen das zum guten Ton gehört. Einfach eine Ehe zu schließen, Kinder bekommen und sich langweilen, könne doch nicht erstrebenswert sein. Viele Frauen in Russland würden sich einen reichen Mann anlachen, um dann in Beautysalons ihre Zeit zu vergeuden mit dem alleinigen Ziel makellose Fingernägel manikürt zu bekommen. Hier in Berlin wohnt Mascha in einer Charlottenburger Dreizimmerwohnung bei einem älteren Ehepaar. Sie unternimmt nur wenig mit ihren Gastgebern. Mascha wundert sich, dass die Frau, bei der sie wohnt, nur am Wochenende kocht: " zuhause kocht meine Mutter jeden Tag". Sie mag die deutsche Küche jedoch auch nicht sonderlich und Currywurst mit Brötchen wäre ja wohl das Widerlichste. Eine einzige Schwäche hat sie aber dann doch: deutsche Backwaren. Den vielen Bäckern, die sie tagtäglich mit ihren zuckergussüberzogenen oder bepuderten Teilchen traktierten, könne sie kaum widerstehen. "Deswegen sind die deutschen Mädchen auch alle so dick", analysiert sie ganz nonchalant. Auch beim Thema Mode kommen die deutschen Frauen nicht gut davon. Vernichtend verkündet sie ihr Urteil " sie haben viel Geld, kaufen sich alles, aber kleiden sich schlecht, einfach ohne Geschmack. Die deutschen Männer kleiden sich aber viel besser als die russischen. Auf der ganzen Welt sind die deutschen Männer die bestangezogensten". Man(n) glaubt es kaum. Doch was mag sie denn wirklich an Deutschland? Ihr gefällt die Art zu leben. Auch die Menschen hier wären freundlich, würden einem immer helfen, wenn man frage. Aber man merke dann recht schnell, wenn sie nichts mehr mit einem zu tun haben wollen. Das wäre in Russland anders: "wenn einem die Nase nicht gefällt, dann tut man auch gar nicht erst so als ob sie einem gefallen würde". Sie verwendet dabei das Wort "oberflächlich". "Aber", fügt sie versöhnend hinzu "die Deutschen sind ein sehr geselliges Volk, sie reden gerne". Und Mascha mag es zu reden, besonders auf Deutsch. Seitdem sie so viel Deutsch spricht, klingt das Russische hart und unförmig in ihren Ohren. "Ich mag den Klang der deutschen Sprache viel lieber". Besonders das delikate kleine deutsche Wörtchen "genau" hat es ihr angetan, gesteht sie lachend. Welch eine Ironie. Eben jenes Wort, was dem Deutschen eines seiner Erkennungsmerkmale verleiht, ihm anhängt wie eine Klette und ihn auf der ganzen Welt erst zu seinem Original macht. Auf dem Weg in ein Cafe, sagt sie, dass ihr die Architektur in Berlin besser gefiele. Wer in Moskau war, kann dies nachvollziehen, zumindest bei den Wohnbezirken. Außerdem gehe sie oft zum Potsdamer Platz. Und Warum? "Dort gibt es schließlich viele Geschäfte", entgegnet sie augenzwinkernd. Aber ist es dort schön? Sie überlegt kurz und fügt schnell hinzu, dass sie sehr gern auf der Museumsinsel sei, "da wo die großen Brunnen so schön mit den Fontänen sprudeln". Etwas weit her geholt, doch einen gewissen zaristischen Habitus hat es ja schon. Und was vermisse sie? "Eigentlich gar nichts, bis auf meine
Freunde, meinen Hund, ja und meine Eltern - manchmal". Der Kontakt zu
ihren Freunden läuft hauptsächlich über sms. Oft holt sie ihr Handy aus
der Jackentasche. Unruhig lässt sie es dann aus der kleinen Hülle gleiten,
versichert sich, ob nicht eine sms gekommen ist und steckt es wieder ein.
Meistens tut sie dies erfolggekrönt, es kommen tatsächlich oft die kurzen
Nachrichten. Ob die Nachricht wohl wichtig ist? Sie verneint, mag aber
auch nicht vorenthalten, wer ihr gerade, und vor allem was geschrieben
hat. "Meine Freundin hat geschrieben, dass in Russland ein Flugzeug abgestürzt
ist". Ob sie das wohl hier im Ausland besonders bewegt? "Nicht mehr als
zuhause und außerdem sterben täglich viel zu viele Menschen auf der Welt,
überall ist doch Krieg". Hier im Westen, das sei ihr aufgefallen, habe man große
Freude daran zu teilen. Bei näherem Nachfragen stellt sich heraus, dass
sie allerdings nicht das "brüderliche" Teilen meint. Vielmehr meint sie
zum Beispiel das Auf-teilen von Rechnungen bei der Bezahlung nach Cafebesuchen.
Oder die Teilung beziehungsweise Trennung des Mülls. Ihre Beobachtung
ist zutreffend, schließlich ließ man es sich nicht entgehen, ein ganzes
Land zu teilen. |