Wen der Osten schön macht -
oder warum russische Frauen besser aussehen

von Julia Harke

Ob in den neuen Bundesländern oder und vor allem noch weiter östlich - dieses Bild zieht auf der Straße, im Bekanntenkreis, im Cafe Blicke auf sich: Eine wunderschöne sexy Evastochter verziert mit Stöckelschuhen, Minirock und vollkommen gestylter Frisur schwingt ihre knackigen Hüften im Takt zu dem schlendernden schleifenden Gewackel eines struppigen, schmuddeligen, in Lederjacke, Jogginghose und Lederschuhe gekleideten Mann von Welt. Sie gehen nebeneinander in eine Richtung, aber man hat das Gefühl, sie biegt in einer Minute in die Straße ein, die zum Theater führt und er nimmt den Weg in seine Stammkneipe oder in den Park zu seinen Freunden. Doch – o Wunder – sie gehen zusammen in die gleiche Richtung und scheinen sogar liiert zu sein! Nicht, dass es ein Einzelfall wäre – man schaue sich nur einmal auf der Straße um!

Männer wollen wir jetzt mal außer Acht lassen, und darüber nachdenken, warum Frauen im Osten unseres Kontinents so ansehnlich aussehen. Warum sind sie immer gepflegt, elegant oder auch sexy gekleidet, perfekt frisiert, stark geschminkt, duften nach einem teueren Parfüm und haben eine traumhafte Figur? Auch wenn sie die modischen Schuhe, das Parfüm und die Schminke einen Monatsgehalt kosten, kann die Frau der Verlockung nicht widerstehen, aus sich mit diesen Einkäufen eine Französin zu basteln, oder eben das, was bei ihr als idealisierte Vorstellung von einer Französin existiert.

Natürlich ist die folgende Betrachtung eine subjektive, mit kleinen Übertreibungen und Verallgemeinerungen versehen, aus der Sicht einer ebensolchen Frau, aber es fließen in die Überlegungen auch viele Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis und vor allem Beobachtungen ein, welche die subjektive Sicht bekräftigen und ihre Legitimierung sichern. Jedoch gibt es bis jetzt keine Wissenschaft, die empirische Untersuchungen zu diesem Thema durchgeführt hätte. Jedenfalls kenne ich solche nicht.

Nein, sie geht nicht etwa ins Theater. Sie macht sich nur für einen normalen Arbeitstag fertig. Es ist ein gewöhnlicher, alltäglicher Vorgang. Es wird gekämmt, toupiert, geschminkt; die Strumpfhose wird vorsichtig hochgezogen, der hübsche Rock und der tiefe Ausschnitt zurechtgerückt. Schnell noch die Lippen rot anmalen, etwas teures französisches Parfüm auflegen, ein langer prüfender Blick in den Spiegel – fertig ist das Kunstwerk.

Wozu nun der ganze Aufwand?

Dass Frauen aus dem Osten besser aussehen, ist eine Tatsache, die weiter keiner Diskussion bedarf. Wir reden jetzt nicht über die natürliche Schönheit, von der jede Nation ihre eigene Vorstellung hat. Und es ist auch eine Tatsache, dass die Frauen im Westen genauso hübsch sind, wie die im Osten, die letzteren machen jedoch viel mehr aus ihrem Aussehen. Viele Frauen im Westen verbergen ihren Liebreiz und ihre Attraktivität unter legerer und unkomplizierter Kleidung. Die Frauen im Osten hingegen verzieren ihren Körper mit Schmuck, schöner Kleidung und tollen Schuhen. Der wichtigste Grund für die knifflige Aufbietung der Ostfrauen ist wohl – wir wollen realistisch  bleiben und die Emanzipation außer Acht lassen – dem anderen Geschlecht zu gefallen. Die durchschnittliche Russin ist nicht dermaßen emanzipiert, dass sie es sich leisten könnte, zu behaupten, sie sei auf die Männerwelt nicht angewiesen. Es hat ja auch keine junge Frau Lust, sich mit 25 als alte Jungfer beschimpfen zu lassen.

Dazu kommt noch, dass es wohl durchschnittlich mehr Frauen als Männer gibt – also muss man sich besonders viel Mühe geben, um im Konkurrenzkampf mithalten zu können. Mit Kleidung, die den Körper betont, wollen Frauen ihre Zierlichkeit und Weiblichkeit unterstreichen, um von der Männerwelt als zerbrechliche, schutzsuchende Wesen wahrgenommen zu werden, die vor der schwierigen und hässlichen Welt da draußen beschützt werden müssen. Auch wenn in Wirklichkeit die Männer meist in der Position des Schutzsuchenden landen.

Was wäre eine Gesellschaft wert, wenn sie keinen Druck auf ihre Mitglieder ausüben würde? Wenn alle Frauen sexy gekleidet und schlank sind, was bleibt dann einer übrig? Hat man genug Selbstvertrauen, auf der Arbeit ungeschminkt und leger gekleidet aufzukreuzen, wenn auch die Putzfrau aufgemotzt ihren Putzlappen schwingt? Wahrscheinlich nicht.

Was ist nun erforderlich, um in diesem Kampf zu bestehen?

Es ist nun immer noch so, dass Frauen im Osten Haushalt, Kinder und Arbeit unter einen Hut bringen müssen. Viele Männer erachten sich des Haushaltes unwürdig, spielen vielleicht mit Kindern, können sie aber im Regelfall nicht wirklich versorgen. Die Frau, wenn sie es geschafft hat, sich solch ein Exemplar zu angeln, darf sich nun nicht ausruhen und aufgrund ihres Drei-Berufe-Alltags ihr Aussehen vergessen. Da setzt nämlich der oben erwähnte Mechanismus des Gesellschaftsdruckes ein, der sie jeden Tag dazu antreibt, attraktiver aussehen zu wollen als alle anderen. Aber es ist auch die Macht der Gewohnheit, die sie auch nach der Heirat und zwei Kindern ihre Frauenpflicht – immer hübsch auszusehen – nicht vergessen lässt.

Vielleicht sind es die Gene, die die tolle Figur zaubern, aber es ist ebenfalls kein Geheimnis, dass auch Frauen im Osten Diäten machen. Meistens werden sie jedoch durch äußere Einflüsse automatisch schlank gehalten. Viel Bewegung hält bekanntermaßen fit und schlank. Nur wenige Frauen besitzen ein Fahrzeug, müssen also oft weite Wege von der Arbeit, vom Einkaufen oder vom Kindergarten zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Man schüttele sich eine Stunde am Tag zusammengequetscht in der Metro und im überfüllten Bus herum und schon sind 20 Gramm Fett weg von der Hüfte.

Ein weiteres effektives Mittel, das sowohl für zierliche Hüften als auch für tolles Aussehen sorgt, ist es, Geld lieber für Kleidung als für Essen auszugeben. Es wird gehungert und gespart, nur um sich den neuen modischen sexy Minirock kaufen zu können. Denn woher haben sie sonst die schöne Kleidung bei einem Lohn, der scheinbar nur Brot und Milch zulässt?

Wir wollen aber die Leistung und die Opfer der Männer, die sie für das Aussehen ihrer Ehefrauen erbringen, nicht außer Acht lassen. Was ist ein Mann eigentlich wert, wenn seine Frau keinen Pelzmantel und keine italienischen Lederstiefel besitzt?  Er nimmt einen zweiten Job an, leiht sich Geld von Freunden und verkauft vielleicht  einen oder zwei seiner Goldzähne, um seiner Frau den Traum vom Pelz zu ermöglichen. Eine weitere Leistung der Männer ist es, dass sie die Frau sich als Frau fühlen lassen. Wozu braucht Frau schon Emanzipation, wenn es unumstößliche Sitte ist, dass der Mann die Tür aufhält, den Stuhl zurechtrückt und immer für das Essen bezahlt? Dabei fühlt der Mann sich in seiner Männlichkeit bestätigt und die Frau in ihrer Weiblichkeit. Und um ihn nicht vergessen zu lassen, dass man eine Frau ist, (und was für eine!) und dass man eine entsprechende Behandlung verdient, sollte Frau sich in ihrer ganzen weiblichen Pracht präsentieren. 

Der Ursprung des Strebens nach dem Ideal, nach Schönheit stammt vielleicht aus vergangenen Zeiten, man betrachte nur die wunderschön bestickten Volkstrachten. Das heutige Modeideal kommt wohl eher aus dem Westen, aber das Bedürfnis nach Schönheit liegt  in den Genen und ist fest verankert.
Damit haben wir nicht mit den Vorurteilen aufgeräumt, sondern sie vielleicht eher verstärkt. Aber wir haben mal darüber gesprochen.

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