In den wenigen Episoden, in denen nicht nur Personen, sondern auch Orte
vorkommen, klebt die Kamera minutenlang mal an einem heruntergekommenen
Stadion, mal an einem hässlichen Neubau fest, an Bildern also, die Kiew
nicht gerade von seiner Schokoladenseite präsentieren, um es mal milde
auszudrücken.
Selbstverständlich ist ein jeder Kinofilm und insbesondere ein Film über
die eigene Heimatstadt eine streng subjektive Sache. Doch warum Shapiro
ausgerechnet die hässlichen Züge seiner Stadt betont (indem er die schönen
Ecken gar nicht zeigt!) und Menschen filmt, die bestenfalls merkwürdig
und schlimmstenfalls kaputte Junkies sind, die einen Slang benutzen, von
dem ein „normaler“ Kiewer wohl kaum etwas verstehen würde, ist nicht wirklich
klar.
Die Reaktionen der Profi-Kinokritiker und Shapiro-Kenner sowie des gewöhnlichen
Publikums könnten unterschiedlicher nicht ausfallen: Die Einen „zerreißen“
Shapiro und seinen „Reiseführer“ nicht nur auf der künstlerischen Ebene;
sie regen sich auf, fühlen sich gar persönlich angegriffen, da sie den
Film als eine Beleidigung der Stadt und ihrer Bewohner empfinden. Andere
wiederum behaupten, in diesem Film einen gewissen Kultcharakter entdeckt
zu haben, worin auch immer sich dieser äußern mag. Da „Kult“ heute ein
weiter Begriff ist und daher in alles mögliche hineininterpretiert wird,
ist es so gesehen kein Kunststück, etwas „Kultiges“ zu produzieren. Hauptsache,
es ist schräg genug, um ein paar Hausfrauen zu verwirren.
Es ist definitiv eine Geschmacksache, ob man Shapiro nun mag oder nicht.
Und über Geschmäcker lässt sich bekanntlich nicht streiten. Fest
steht aber auf jeden Fall, dass Aleksandr Shapiro ein Regisseur extraordinärer
Natur ist, dessen Originalität bereits in seinen früheren Arbeiten „Der
Koffer“, „Deckart“ und „Zikuta“ zum Vorschein kam, wobei der letztere
Film so „originell“ wurde, dass das ukrainische Kulturministerium
den Verleih verbot
Auch dieses Jahr läuft im „Forum“ der Internationalen Filmfestspielen
in Berlin ein Shapiro-Film: „Happy People“. „Es ist eine Geschichte von
jungen, sehr wohlhabenden Freunden, die sich mit dem Problem der ´Unterhaltungskrise´
konfrontiert sehen“ – erzählt Aleksandr Shapiro – „nichts mehr in ihrem
Leben kann ihnen Freude bereiten. Und so entscheiden sie sich, den Risikofaktor
in ihrem Alltag zu erhöhen um ein paar Abenteuer zu erleben.“ Zu diesem
Zweck denken sich die jungen Leute gegenseitig jede Woche eine Aufgabe
aus, die auf jeden Fall erfüllt werden muss, egal wie absurd oder sinnlos
sie zu sein scheint.
In einer der Hauptrollen ist der bekannte Moskauer Regisseur Fedor Bondartschuk
zu sehen, dem vor kurzem durch seinen erfolgreichen Blockbuster über den
Afghanistankrieg «Die neunte Einheit» ein Riesenerfolg gelang. Bondartschuk
lobte Shapiro, der es geschafft hat „für so wenig Geld“ (das Budget beschränkte
sich auf 500.000 $) ein so vollwertiges Produkt auf die Beine zu bringen.
Die Bemerkung von Bondartschuk über „wenig Geld“ ist umso verständlicher,
wenn man bedenkt, dass „Die neunte Einheit“ 25 Mio. $ gekostet hat. Doch
was die „Vollwertigkeit des Produkts“ anbelangt, so sollten die Zuschauer
am besten selbst darüber urteilen.
Nähere Informationen über die Filme von Aleksandr Shapiro und seine Kurzbiografie
finden Sie auf www.arthousetraffic.com.
Übrigens: Shapiro spielt schon seit einigen Jahren mit dem Gedanken, einen
Film über das sogenannten „death match“, das legendäre Fußballspiel, das
während des Zweiten Weltkrieges zwischen der deutschen Besatzungsmannschaft
und der lokalen Mannschaft „Start“ in Kiew stattfand. Es ist also nicht
ausgeschlossen, dass der nächste Shapiro-Film, diesem Thema gewidmet sein
wird, zumal in „Putevoditel“ die folgenschwere Fußballpartie von 9.08.1942
ein paar Mal erwähnt wird.
Mariana Kuzmina
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