Banja, Wobla
und Weniki
www.007-berlin.de

 

Banja, Wobla und Weniki oder eine Gebrauchsanweisung zur russischen Sauna

Die Russische Sauna – Banja - in Berlin-Moabit existiert bereits seit einem Jahr und bietet jedem, der wenigstens für ein paar Stunden dem Alltagsstress und dem launischen Berliner Wetter entfliehen will, ein gemütliches Plätzchen mit mehreren Funktionen, die über die einer herkömmlichen Sauna im westeuropäischen Sinne weit hinausgehen.
Um sich mental auf das Banja-Erlebnis in der Stromstr. 50 vorzubereiten, sollte man sich unbedingt mit dieser russischen Institution auseinandersetzen.

Was ist das Besondere an der Banja?
Die Tradition des russischen Dampfbades geht auf das 12. Jh. zurück und ist als gemeinsames Produkt der slawischen und finno-ugrischen Jäger- und Sammlerstämme aus dem Ural und Sibirien entstanden. Während die finnische Variante heutzutage in Westeuropa weitverbreitet ist, da die finnischen Völkerstämme im Zuge ihrer Umsiedlung nach Skandinavien ihre Form der Sauna mitbrachten und veränderten, hat die russische Banja von ihrer ursprünglichen Art etwas weniger eingebüßt.
Die klassische Banja ist aus Holz (meistens Kiefernholz) gebaut und mit einem Holzofen beheizt. In der Mitte der Schwitzstube steht ein Kupferkessel gefüllt mit Wasser, in dem gebündelte Birken- oder Eichenzweige mit Blättern, sogenannte Weniki, eingeweicht werden.

Diese Weniki stellen die eigentliche Besonderheit des Banja-Rituals dar. Zunächst wird für den Aufguss der Birken- oder Eichensud, der sich im Kessel gebildet hat, mit Hilfe des Weniks auf die Steine geträufelt. Nach dem Verdampfen wird nicht mit einem Handtuch (woher sollten die Jäger und Sammler im 12. Jh. auch so etwas besitzen?), sondern wiederum mit dem Wenik gewedelt, wobei man gut beraten ist, wenn man nach der ersten Wedel-Aktion die Schwitzstube für ca. 10 Minuten verlässt und sich mit kaltem Wasser abkühlt. Nach dieser kurzen Pause, in die man durchaus gerne eine Tasse Tee einbauen könnte, geht es auch schon weiter: die Weniki kommen nun zu ihrem ultimativen Einsatz, was so viel bedeutet, dass man sich mit ihnen gegenseitig abklopft und auf diese Weise massiert, wobei es da auch verschiedene Techniken gibt. Besonders empfehlenswert ist es, sich von einem ausgebildeten Saunameister „bearbeiten“ zu lassen, da es a) entspannender ist und b) er alle Bewegungsabläufe perfekt beherrscht und so auf die jeweiligen Problemzonen, beispielsweise Rückenbeschwerden, gezielt eingehen kann. Durch diese heilende Prozedur wird der Zellstoffwechsel und die Durchblutung angeregt, was im Endeffekt dazu führt, dass man sich nach der Banja wie ein junger Gott vorkommt. Ein kleiner Geheimtipp am Rande: ein anschließendes Durchspülen der Haare mit dem Birkensud verleiht ihnen Glanz und stärkt die Haarwurzeln!

 

Die besondere Rolle der Weniki wird auch deutlich, wenn man eine, heute fast in Vergessenheit geratene Tatsache kennt: ursprünglich diente das Banja-Ritual nicht in erster Linie dem Waschen, sondern der Reinigung der Seele, die durch Herbeirufen von guten Naturgeistern vollzogen wurde. Der Wenik stellte dabei eine Art symbolischer Vermittler zwischen Natur und Mensch dar. Insofern ist das Verb „abklopfen“ in diesem Zusammenhang genaugenommen nicht ganz korrekt, da es sich eher um ein „einklopfen“ der positiven Naturkräfte handelte. Im Übrigen galt die Eiche in Russland schon immer als der Inbegriff von Kraft und Stärke, was u.a. die uralte russische Tradition beweist, nach der man eine Hochzeit unter Eichen feiern sollte, damit die Ehe lange hält. Daher sollte man sich nicht nur auf die Birkenzweige beschränken, sondern durchaus auch von Eichenzweigen Gebrauch machen, wer weiß, vielleicht wirkt der Brauch ja heute noch?

Zurück zur Realität.
Was die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit anbelangt, sind die Experten unterschiedlicher Auffassung. Allgemein gilt, dass die Temperatur zwar niedriger als die in einer finnischen Sauna ist – also ca. 80° Celsius beträgt, die relative Luftfeuchtigkeit dafür höher und für gewöhnlich bei ca. 30° Celsius liegt. Idealerweise war eine solche Banja-Hütte („Isbuschka“) an einem Fluss oder See gelegen, zwecks unmittelbarer Abkühlung zwischen den Dampf-Gängen. Im Winter verschaffte man sich die Abkühlung auch, indem man sich draußen mit Schnee einrieb, der in Russland bekanntlich nicht so schwer zu finden ist. Die Schneeprozedur ist auch heutzutage keine Seltenheit, obwohl die städtischen Banjas mittlerweile fast immer über einen Pool verfügen. Die Zivilisation ist eben nicht aufzuhalten!

Das mit Abstand wichtigste Unterscheidungsmerkmal der Banja ist aber ihre gesellschaftliche Funktion, was sie zu einer festen russischen Institution macht. In der Banja wird nämlich nicht stumm vor sich hingeschwitzt, bis man es nicht mehr aushält, wie es in den westeuropäischen Saunaeinrichtungen der Fall ist. Der russische Banja-Besuch impliziert, dass man mit mehreren Leuten hingeht, sich viel Zeit nimmt, sich über alles Mögliche unterhält, kurzum, man genießt!  So manches Geschäft wurde bereits in der Banja beschlossen, ganz zu schweigen von der sogenannten Banja-Diplomatie, die sich allerdings bisher hauptsächlich auf die russisch-deutschen Beziehungen beschränkte.

Was erwartet Sie also in der Stromstr. 50?
Zunächst erwartet Sie ein Lächeln. Nicht dieses „Ich-werde-dafür-bezahlt-Lächeln“, dass man schon irgendwie kennt. Nein, die beiden Banja-Betreiber Sergej und Alexander empfangen jeden Gast mit einer solchen natürlichen Herzlichkeit, dass man sich sofort wohl fühlt, auch wenn man zum ersten Mal da ist. In der Vorstube sitzen in Bademäntel gehüllte Menschen, trinken Tee, essen Tschebureki (Hefeteigtaschen mit Fleisch oder Käsefüllung) und plaudern oder spielen Gitarre und singen Lieder.

Die Banja-Räume sind klein, aber sauber und sehr gemütlich – es gibt zwei Schwitzräume, die jeweils Platz für 5 Personen bieten, einen Erholungsraum mit Liegestühlen und einem großen Fernseher ausgestattet, einen Massage-Raum und einen Gemeinschaftsraum, in dem sich auch die Bar inklusive einer Karaoke-Anlage (falls die Gitarre mal nicht ausreicht) befindet...Am besten, Sie schauen selbst mal rein, genießen die russische Tradition in vollen Zügen und lassen sich vom absoluten Banja-Guru Sergej mit einem Wenik massieren. Es lohnt sich!

© fotografiert und verfasst von Mariana Kuzmina

Archiv:
36. Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens, über das bedeutendste Theaterfestival in Deutschland
35. Gereon Sievernich: Das Kunstwerk entsteht erst im Auge des Betrachters
34. Thomas Oberender: Die Gesellschaft kann und muss lernen sich zu streiten
33. Sommer in russischer Provinz / Olga Schtyrkina
32. Ein Semester in St. Petersburg / Claudia Jutte
31. Herr Ober, das Salz bitte! / Rezension von Philipp Goll
30. einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx
29. Ein Semester in St. Petersburg von Claudia Jutte
28. Berlinskij Episod. Eine Hommage an Berlin, gut gekleidetet deutsche Männer und: das Lachen. Von Philipp Goll
27. Merle Hilbk "Sibirski Punk" : Ein Sommerblues von Anna Brixa
26. ein einblick. ein ausblick. geblickte momente…/Mode in St. Petersburg / wibx
25. wiederkehr. neue einkehr/ eine reise nach sankt petersburg / wibx
24. Über den heroischen Slam ein paar Worte...Kritik einer Zuschauerin. Von Natalja Fedorowa (auf russisch)
23. Lena Kvadrat / artpoint / wibx
22. Sonne für die Ohren - Rezension zum Album "Na svjazi" von Markscheider Kunst von Anton Zykov
21. Der Russe - Ein Porträt von Anton Zykov.
20. Töne des Untergrunds - Russische Straßenmusikanten in Berlin von Anton Zykov.
19. Banja, Wobla und Weniki oder eine Gebrauchsanweisung zur russischen Sauna von Mariana Kuzmina.
18. Der deutsche Gentleman – ein Mythos oder: können russische Frauen und deutsche Männer zueinander finden?, von Julia Harke
17. Literaturkritik von Twerdislaw Zarubin (auf russisch)
16. "Grüne Woche" (2006) von Mariana Kuzmina (auf russisch)
15. Kann ich dir helfen, Bruder? Gedanken zur russischen Brüderlichkeit von Julia Harke
14.1. Das Russen ABC für Berliner
14. Briefe aus Nizhnij Novgorod von Daniela Ließ
13. Wen der Osten schön macht oder warum russische Frauen besser aussehen von Julia Harke
12. Gespräch mit dem Regisseur Egor Konchalowsky von Anja Wilhelmi (auf russisch)
11. Archive Agent-007 (auf russisch)
10. Kunstherbst 2005 (auf russisch)
09. Leben im Wohnheim Multi-Kulti. Ein Erfahrungsbericht aus Frankfurt/Oder von Claudia Jutte
08. Offener "Russischer Slam" in Berlin! (auf russisch)
07. Licht und Farbe in der Russischen Avantgarde (auf russisch)
06. Art Forum 2004 (auf russisch)
05. Die Russischen Filme auf der Berlinale 2005 von Matthias Müller-Lentrodt
04. Gespräch mit dem Architekten Sergei Tchoban (auf deutsch) (auf russisch)
03. Gespräch mit dem Fotografen Boris Michajlov
02. Eine Art Reisetagebuch von Sophie Hofmann
01. Mit der Schauspielerin Irina Potapenko sprach Tim-Lorenz Wurr.

www.007-berlin.de