einshochzwei ist dreihochsternchen
ein bericht über 3 osteuropäische modemacherinnen zuhause in
berlin
12
= 3*
..............
[am anfang]
formelhaftes
suchte man nach einer formel, mit der sich drei osteuropäische modemacherinnen
in berlin ermitteln ließen, ginge die rechnung wohl kaum so einfach auf.
womöglich ergäbe sich eine fiktive größe.
wahrscheinlich eine variable.
in jedem fall etwas potenzial[es].
der einstieg in die welt der maße, modelle und moden formuliert sich nicht
nur über zahlenbeziehungen [12=3*] oder über deren wortlaut.
vielmehr ist die eindeutigste lösung in diesem gleichungssystem der beobachtungen
die näherungsweise. und zwar über zeichen. bildhafte zeichen. schritte,
die ihre verbindung dokumentieren.
eine diese verbindungen entsteht gerade in diesem moment. beim lesen.
[teil1]
echt-zeitreisen
"ich schicke dir mein portfolio per mail", hatte elena gesagt. und
noch bevor ich den terrestrischen postkasten passiert und mich hinauf
begeben hatte, um das noch ungeordnete, lebendige des wortwechsels auf
papier zu skizzieren, um es später in eigener ordnung, im leben der leser
zu fixieren, lag elenas botschaft schon in meiner virtuellen briefbox.
noch in echtzeit hatte sie mich erreicht. ich dagegen traf mit verzögerung
ein, um die aufarbeitung des gesprächs zu beginnen.
spuren im kopf
die drei-kulturen-konstellation. die form der dinge und des lebens. das
technologische interesse. die prägnanz der anschaulichkeit. - das sind
gedanken, die nach dem ersten treffen mit elena kikina in den kopf
fallen, mit ihren worten zusammenhängende bilder induzieren.
beispielhaft bleibt mir die formulierung der drei-kulturen-identität:
die eigene, die andere, die nicht vorhandene. bei elena ist es das moskau-berlin-und-die-
erfahrungen-dazwischen. sie sei ein großstadtmensch, sie brauche die stadt,
bemerkt elena gleich am anfang. die stadt? - berlin, alles andere in deutschland
schließt sich für elena aus - so scheint es. der lebenspartner, das flair
der stadt, die arbeitsmöglichkeiten, kontakte, .. viele faktoren malen
das bild der stadt, die für elena berlin ist.
lehrjahre, wanderjahre
als sie mit 20 jahren aus moskau nach berlin kam, war ihr das deutsche
land kein ungesehenes. die deutsch-russische- freundschaft hatte schon
in schulzeiten einen austausch gefördert - sogar mehrmals. und so kam
elena in ihrer jugendzeit dreimal nach deutschland gereist, bevor berlin
ihr zu einem zuhause werden sollte.
und ungesprochen war es auch nicht. elena hatte in moskau eine schule
besucht,deren sprachlicher schwerpunkt deutsch war. deutsche berührungen
in wort und bild gab es also.
elena entschloss sich, ihr dasein als diplomierte ingenieurin in moskau
gegen ein hiersein als studentin in berlin einzutauschen, ihr leben dort
hinein zu begeben, von wo aus sie heute erlebt. an der Kunsthochule Berlin-Weißensee
hat sie mittlerweile ihr diplom im fach Modedesign abgeschlossen - und
doch nicht endgültig. ein meisterschülerjahr soll den eigenwilligen werdegang
der studentin elena beschließen.
ein ansatz
während elena aus den studentenjahren herauswächst, will die zeit nicht
stillstehen - und elena auch nicht. schon beschäftigen sie neue kollektionen
- auftragsarbeiten, entwürfe für schnitte und trendbücher. und die arbeit
an einer verselbständigung der eigenen arbeit, der eigene vertrieb. die
organisation all dessen, was selbständig sein soll, bedeutet sich über
kontakte. kontakte knüpfen, um sich über diese zu vermitteln, um sich
selbst zu vermitteln.
zugegeben, die konzeptualisierung ist ihre stärke. sie entwirft gerne,
am pc. das atelierzimmer ist ein großer heller raum mit einem tisch, mit
einem pc und daneben steht eine kleiderpuppe. nähen? - ja auch, aber sie
liebt vor allem die schritte davor und dazwischen und womöglich darüber
hinaus. denn ihr ausgeprägtes interesse gilt experimentellen verfahrensweisen,
technischen methoden zur optimierung der bekleidung und der verbindung
von materialeigenschaften des stoffes mit möglichkeiten des schnittes
zu einer form, die sich ohne viele zwischenschritte und ohne aufwändige
methoden der verarbeitung verbindet.
form follows form follows form follo
quelle:
elena kikina |
innerhalb der auseinandersetzung entwickelt elena die form der bekleidung
aus den möglichkeiten der verformung selbst.
anschaulich wird die kurze, systematische und auf das optimale bezogene
methode in elenas grafischen skizzen. das zentrale ist das visuelle, die
form. eine funktion zu addieren über zusätzliche elemente [taschen,…] -
das erübrigt sich, wenn elena die funktionalität der urform entlockt. so
werden das zusätzliche anbringen von taschen oder das einnähen von innenfutter
zu unnötigen accessoires. nähte verschwinden, da es für sie kaum etwas gibt,
das sie zusammenhalten müssen.
einzelteile herauszuschneiden, um sie wieder zusammenzunähen, anders und
aufwändig, das ist nicht das konzept elenas. bei ihr wird eine form geschnitten
und umgeformt - so gibt es kaum materialausschuss, kaum nähte, kaum verschlüsse.
nur ein wenig klebe-fixierung, ein paar knöpfe und verschlüsse zur verbindung,
drucke zur stabilisierung verhelfen zur form.
der herstellungsaufwand ist gering und der weg vom stoffstück zur kleidung
ist kurz.
das konzept das k
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quelle:
elena kikina |
elena hat ein klares konzept, von dem sie ausgeht, dem sie mit jeder kollektion
erneut eindeutig nachgeht und auf das sich die überzeugung für ihre arbeitsweise
begründet. direkt und konsequent schildert elena das, was sie schätzt an
einer formel, die kurz, aber in sich tief und wahr ist.
der konzeptuelle ansatz, die formel elenas, erläutert sich über die formensprache
ihrer objekte und verdichtet sich im gespräch mit der designerin. dabei
wird ihr anspruch deutlich: ein tragbares modelabel, das besonders wird
durch die integration von form, funktionalität und durch eine praktikable
fertigung überzeugt. das gelingt durch einfachheit [statt banalität] und
durch komplexe formen, die sich aus der einfachen grundform ableiten lassen
[statt komplizierte, kostspielige realisationen].
quellen quellen quellen quellen quellen q
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quelle:
elena kikina |
wovon sich elena inspirieren lässt?
ihr konzept und ihre überzeugung stellen wohl die maßgebliche motivationsquelle
dar, aus der die eigenwillige sprache elenas ertönt…
und noch etwas?
elena überlegt eine weile, greift plötzlich ins regal und zieht ein buch
heraus. Miyakee.
dessen konzeptuellem ansatz fühlt sie sich relativ nah, nicht oft passiert
so etwas, auch wenn es ganz etwas eigenes bleibt, was sie tut. elenas
linearer ausdrucksweise wohnt - wie ihrer arbeitweise - eine grafische
struktur inne, mit der sie klar und deutlich ihre auffassung vom modemachen
zum ausdruck bringt. am besten gelingt es deshalb wohl, ihre kollektionen
in abbildungen selbst sprechen zu lassen
beschreibungen
der formgedanke elenas spielt mit geometrie und organik. die bewegung
führt zum körper hin, nähert sich ihm über die eigenschaften des materials.
es passt sich der körperform an, geht auf diese ein [organik]. dann wiederum
gibt es "ecken", ausstülpungen, linien, die an ungewohnten abschnitten
aufeinander treffen und flächenverschiebungen bilden.
strenge grundformen halten den körper in geometrischen grenzen - und weisen
so über ihn hinaus. zwischen einer art respekt vor den eigenschaften des
materials und der neugier angesichts der vielfältigen möglichkeiten, verschiedenste
materialien in unterschiedlichsten fällen funktionierend einzusetzen,
experimentiert elena und schafft mit den möglichkeiten und grenzen von
form und ver-formung module eines interessanten systems. ein system, welches
dem material nicht über schnittformen oktroyiert wird, sondern diese von
den eigenschaften des materials her denkt, über ableitungen aus dessen
formensprache, die es aufnimmt und ausreizt bis hin zu einer eigentümlichen
form.
ansätze und richtungen ansätze und r
quelle: elena kikina
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das system der elena k. funktioniert nach einem klaren prinzip - und
doch lässt sich von ihrem konzeptuellen ansatz aus ein langer gedanke
entwickeln, der die betrachtungen auf wegen durch die modelle führt, die
sich vielleicht nicht immer in 5 schritten schematisch darstellen wollen,
für den hingegen - wie dieser textabschnitt beweist - eben diese grafische
prägnanz zur quelle assoziativer ausschweifungen wird.
[teil2]
assoziativ aus eigeninitiative arbeitet katja filipovich.
ihre modelle erzählen kleine geschichten in momentaufnahmen einer fotografischen
szenerie, die gerade durch die auswahl des ortes auf die möglichkeiten
der interpretation des modells setzt.
fotografische verknüpfungen
katja kennt elena über das auge des fotografen. dieser fotograf ist andrej
loginov. andrej loginov verdichtet die aussagen der modelle katjas
in fotografischen inszenierungen. vor wechselnden kulissen erzählen die
modelle in unangestrengter art von der fantasie der kreateurin katja.
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quelle: katja filipovich |
katja kommt von weit her - wie das mädchen mit dem
leuchtenden kleid, das uns in dem foto von andrej loginov aus einem dunkelgrünen
wald irgendwo in belarus entgegenschaut. plötzlich huscht es zwischen den
stämmen hin und her - einen preis bekam der fotograf für diesen moment und
katja eine kulisse für eine garderobe, die märchenhafte bezüge transportiert.
die fotografische geschichte spinnt sich um das rote kleid des mädchens,
das katja entworfen hat. dieses bild ist vielleicht die anschaulichste variante
der veranschaulichung von dem, was katja in einem gespräch von sich erzählt.
katja kommt aus belarus, minsk. minsk verließ sie, um in berlin zu studieren
und zu leben - und um zweimal im jahr für eine kleine reise in ihr minsk
zurück zu kehren.
das weggehen und wiederkehren auf zeit
das wiederkehren, um die eltern zu sehen. und überhaupt, weil die familie
müsse schon zweimal im jahr für ein paar wochen zusammensein. und dann wird
das wiederkehren zum ausgangspunkt für das weggehen. das weggehen aus minsk
erklärt sich aus dem großen wunsch katjas, etwas mit mode zu machen und
den kleinbleibenden möglichkeiten, dies in minsk zu tun.
aber weggehen heißt auch mitnehmen. die gedanken an die eltern, die sprache
und plötzlich auch die neuen [herkunftsnahen] freundschaften. und das interesse
an mode und den [technischen] möglichkeiten der gestaltung. das gab es bei
katja schon lange. schon bevor sie ihr erstes studium [französisch] - noch
in minsk - aufnahm. und auch noch danach. da das interesse blieb, ging katja
- sie ging fort, da ein studium der mode in minsk keine option für sie war.
das bleibende und das sich verändernde
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quelle: katja filipovich |
also kam katja nach berlin. an die Fachhochschule für Technik und Wissenschaft
[FhTW]. dort studiert sie Modegestaltung, ein fach, dessen studenten bis
vor kurzem noch Bekleidungsgestaltung auf ihrem immatrikulationsschein
stehen hatten.
katja ist froh, dass das jetzt nicht mehr so heißt. und sie ist überzeugt,
dass es gut ist, an einer praktisch-orientierten schule eine ausbildung
zu erhalten, technische fertigkeiten zu erlernen. denn kreativität und
also auch das design ergibt sich für katja aus der eigenen person. das
talent lässt sich nicht anstudieren - wohl aber die fertigkeiten. deshalb
schafft man sich am besten eine eine voraussetzung an praktischen fähigkeiten.
und die ideen? - hat man [dann wohl von selbst], aus interesse. noch ein
jahr kann katja sich als studentin diesem praktischen prozess zwischen
aneignung von außen und inspiration von innen hingeben - dann hat sie
ihren zweiten abschluss, ihren ersten in berlin.
und dann?
ein modedesignstudium in minsk sollte es nicht sein für katja, eine modedesignprofession
in minsk sucht sie auch nicht. katja weiß, dass es möglichkeiten auch
in minsk gibt und auch einige dort sind, die sie bewundert, beim machen
von mode in weißrussland. sie weiß aber auch, dass eine heimat eine herkunft
ist, die nicht immer mit dem eigenen dasein identisch sein muss. das hiersein
ist das leben, das man führt, die möglichkeiten, die man sucht, sich eine
grundlage für die realisation der erwartungen zu schaffen. das dortsein
ist das wissen um das, was unter umständen vielleicht woanders hinführt,
vielleicht auch ganz woanders.
freunde hat sie in berlin, russische, deutsche gleichermaßen. und einen
in italien. vielleicht nach italien. minsk - berlin - und - mailand!
mit einem augenzwinkern erklärt katja, warum sie sich italien als lebensraum
und wirkungsgebiet so gut vorstellen kann. dabei gibt es neben persönlichen
auch und vor allem ökonomische gründe. mehr angebote in hinblick auf die
industrie und die möglichkeiten eine anstellung in einer firma als modedesigner
zu finden. angestellt möchte sie schon sein - und bricht damit erwartete
vorstellungsmuster eines ich-mach-mich-selbstständig-anspruchs. für katja
ergeben sich gerade aus der anstellung in einer firma möglichkeiten, die
lehrjahre der studienzeit in anderer weise als lehrjahre im arbeitsprozess
weiterzuführen - um sich in wechselwirkung zu erproben.
wie auch immer sich der weg für katja fortsetzt, eine spur zeichnet sich
schon jetzt deutlich ab: ihre perspektiven entwickelt katja aus den möglichkeiten,
nicht aus den einschränkungen.
es klingt überzeugend, was katja spricht - ob sie es nun muttersprachlich
russisch, französisch/ deutsch/ italienisch fließend oder englisch auf
gutem niveau erläutert - das sind sprachen, die sie beherrscht und mit
denen ihr auch das dortsein als vorstellbares hiersein gelingt.
das schöne [sichtbar]machen
außerdem gibt es da ja noch die anderen wortlosen sprachen, mit denen
wir über die augen kommunizieren und über die hände: die der farben, flächen
und strukturen. katjas sprache ist eine detailreiche, assoziative, kreative,
spielerische. dabei gehen die schnitte beinahe selbstverständliche verbindungen
mit accessoires ein: so erhält ein mantel eine kreisrunde öffnung im kragenbereich
- durch dieses loch wächst eine kette heraus, die der trägerin mit dem
kleidungsstück angelegt wird.
oder eine hemdbluse bekommt ihre eigentümlich üppigen ärmelenden durch
synthese aus einem zweiten eng um den unterarmbereich gestülpten und gestauten
hemd.
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quelle: katja filipovich |
oder eine stewardess schließt ihre bluse mit einem verschluss, der das
halstuch gleich mitmacht.
oder krägen gereichen dem träger bis über die ohrenspitzen, formen kreisrunde,
kopfhöhrerartige elemente, die dem träger eine eigentümlich fantasiereiche
[lebens]form zusprechen.
die mode im blickpunkt
die fotografischen inszenierungen verdeutlichen auf ungezwungene weise,
was katja mit spielerischem eifer an interpretationsvorschlägen für die
einzelnen themen praktisch entwickelt.
dabei geht es ihr darum, die aufmerksamkeit auf bestimmte momente eines
gesamteindrucks zu lenken. momente, in denen sie ihren händen mit eifer
entlockt, was ihr kopf sich gerade hat einfallen lassen oder was sich
ihr gerade im ausprobieren entdeckt.
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quelle: katja filipovich |
"schön" findet sie, was ihrer hand gelingt. überhaupt liebt sie es, ihre
hand die stoffe berühren zu lassen, aus flächen zu formen, an der kleiderpuppe
steckprobenartig zu experimentieren und an der nähmaschine zu fixieren.
und zu zeichnen. illustrierte fantasien lebendige figuren laufen auf dem
zeichenpapiergrund umher. diese präsentieren erste gedanken möglicher
kollektionen. oder sie illustrieren variationen. und sie laufen eine modenschau,
die ganz für sich selbst, über die bloße illustration der modekollektion
hinaus, eine art eigene grafische wirklichkeit skizziert. die illustrationen
visualisieren den eindruck, der sich bei der begegnung mit katja spürbar
abzeichnet - von der aufgeschlossenheit, lebendigkeit und der aufgewecktheit.
das interesse und die begeisterung für das, was sie tut.
und die fähigkeit, das schöne darin zu erkennen, aber auch die möglichkeit
der entwicklung zu sehen. so legt katja aktuelle arbeiten neben die allerersten,
unter denen sie einige mit einem lächeln zeigt, das - ähnlich dem des
älteren gegenüber den ersten erfahrungen des jungen - ein lächeln aus
einer erfahrung von überholungen ist. man hat es ja nicht besser gewusst.
und das ist auch gut so, denn nun weiß man es besser und kann es besser
machen. um später vielleicht wieder auf diese weise darauf "zurückzuschauen".
katja schaut aber lieber nach vorne - das muss sie auch, denn die zeit,
die bleibt bis zu ihrem diplom, lässt kaum große pausen zu - manchmal
muss sie sich sogar mit einigen 2d-kollektionen genügen - entwürfe auf
papier, für die die zeit nicht reicht, sie umzusetzen. obwohl sie doch
so schön sind, findet katja. und sofort denkt man, es ist schön, katja
zu sehen und ihre freude an den kleinen ideen, die unsere sichtbare welt
bespielen.
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quelle: katja filipovich |
[teil3]
katja weiß von elena. elena kennt viktoria. und viktoria
erzählt.
von sich, von ihrem kontakt zu elena, vom vielen arbeiten und dem studieren
mit ohne zeit.
kontaktaufnahme unbekannt
das telefon klingelt. viktoria. ja, viktoria zavgorodnyaya. nein,
leider nicht für mich. nicht heute. vielleicht morgen. oder besser in
ein paar tagen. freitag. viktoria wird da sein. endlich.
das telefon klingelt - noch einmal - diesmal nur, um zu durchzusagen:
viktoria kommt. etwas später. aber sie kommt.
ja und endlich ist sie da. da steht sie, etwas atemlos, und ein wenig
verfroren. sie hat zeit für ein gespräch mit jemandem, der wissen will,
warum sie mode macht, wie sie es macht und wo und wie es ist, was man
so macht, wenn man so fragen gefragt bekommt.
schnittgeschichte - ein stück aus viktorias leben
viktoria macht modedesign. auch [wie die gefragte elena und die nachfragende
selbst] in berlin-weißensee. wirklich? mh. nie gesehen, nicken wir uns
zu. aber viktoria und elena wissen schon lange um ihr kommilitoninnenverhältnis.
viktoria kennt elena recht gut, schätzt sie. und so schlagen wir einen
bogen über weißensee und kommen sogleich zu viktorias arbeit.
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quelle:
viktoria zavgorodnyaya |
vielleicht nicht ganz. [denn] viktoria arbeitet sehr viel. fast soviel,
dass sie gar nicht zum arbeiten kommt. zu eben dem arbeiten, das studieren
sein soll. kaum bleibt die zeit für die gedankenentwicklung angesichts
des diploms. schon hat es sich verzögert. nicht, weil viktoria zuviel
andere dinge im kopf hat. vielleicht anders. vielleicht hat sie zuviel
andere arbeiten im kopf, weil sie studiert, studieren möchte, ihr diplom
machen möchte, aber das finanzieren ihr schwierigkeiten macht. das BaföG
ist ausgeblieben, weil sie über der regelstudienzeit liegt, um ein semester
oder zwei.
das ist von anfang an zu verstehen, erklärt viktoria - auf deutsch. und
eben darin liegt der grund - wortwörtlich. vor etwa acht jahren kam sie
nach deutschland. aus petersburg. und bevor sie aus petersburg kam, ist
sie aus tadschikistan gekommen. dort ist sie geboren, aufgewachsen. dort
ist ihre kindheit. und ihre mutter. dort sind auch ihre gedanken, manchmal.
leider sind die gedanken viel zu oft unterbrochen. auch die, die nötig
wären, um sich auf das diplom vorzubereiten. viel zeit vergeht mit keiner
zeit haben. viktoria arbeitet, um sich ihr studium auch in der letzten
etappe noch zu finanzieren und um rasch diplomieren zu können - und verliert
die zeit für das studium, für das sie arbeitet. sprachliche schwierigkeiten
ließen sie nicht alle scheine rechtzeitig fertigstellen - ein halbes jahr
mehr und ein BAföG weniger.
viktoria bleibt nichts anderes übrig, als zwischen arbeitsort, studentenwohnheim
und uni hin-und herzureisen - und in den minuten dazwischen auch noch
inspiration einzufangen.
vielleicht bekommt das diplom einen zeichnerischen schwerpunkt, sinniert
viktoria. das interessiert sie. auch das nähen. doch das braucht sehr
viel zeit. ohnehin ist sie ein mensch, der zeit braucht - um zu arbeiten.
und die fehlt. aber viktoria - das merkt man - sehnt sich nach mehr zeit
für mehr arbeit - für mehr modemachen.
bildhafte anschnitte
damit man versteht, was viktoria meint, wenn sie von ihrem interesse an
mode spricht, zeigt sie bilddateien von kollektionsteilen zu verschiedenen
themenstellungen, die im laufe der studienzeit entstanden sind. dabei
betont sie [bekräftigt wird dies durch die bildbeispiele] ihr interesse
an sportbekleidung und deren elegant-sportlichem design. reiterbekleidung
für frauen, zum beispiel:
quelle:
v.zavgorodnyaya |
geometrische formen führen nahe an elena heran - und doch geht viktoria
ganz anders damit um. auch sie geht von klaren linien und einfachen verschlussystemen
aus - dabei schafft sie eine ihr eigene eleganz durch offenheiten, die
einblicke erlauben in der art, die auf den besonderen anspruch einer frau
als trägerin sportlicher bekleidung eingeht oder diesen erst offenlegt.
so wird auf die möglichkeiten aufmerksam gemacht, die sich für die sportuniform
der frau bieten, wenn man nur berücksichtigt, dass die träger der anzüge
eben nicht uniform sind.
details verwendet viktoria. auch symbolische oder motivische assoziationen
finden sich. sie sind eindeutig, klar [beispiel reiterweste] und zugleich
schlicht durch die art und weise, wie sie sich in die [thematische] form
der bekleidung einfügen oder aus ihr ergeben.
keine aufgedruckten flügelschläger flattern da herum, noch finden sich
schleifen, die überflüssige motive formen. ungewöhnlich weiten sich hingegen
die seitentaschen der hose. und plötzlich erkennt der aufmerksame betrachter,
wo und wie sich das motiv assoziativ entwickelt. viktorias anspielungen
arbeiten auch miteinander, in der wirkung untereinander mit der besonderen
rücksicht auf drohende überzeichnungen. so finden sich in der verknüpften
blusenform freiliegende zonen, gebildet aus flächen, flügelartig - und
während diese sich auf dem rücken entfalten, dreht sich der rock herum
und die aufmerksamkeit wird nach vorne gelenkt. so stören sich die details
nicht gegenseitig und jede form erhält die möglichkeit, sich in unterschiedlicher
anordnung zu entfalten. die farben sind bewusst dezenter gehalten - beispielsweise
feine grautöne auf stoffen, deren oberfläche qualitativ statt additiv
zu schimmern scheint, blautöne.
viktorias ernste ehrliche ausstrahlung lässt sich auch in diesen modischen
erscheinungen verstehen als eine eigene art, ein anspruch an sich selbst,
aus sich selbst heraus. dieser anspruch ist es auch, der sie auch dann
nach möglichkeiten suchen lässt, wenn sich zeit und raum verschränken
und es droht, eng zu werden.
viktoria schaut jetzt öfter auf die uhr. die getränke ausgetrunken, die
bilddateien angeguckt, die worte ausgesprochen, gehen wir aus dem café.
viktoria steht kälteempfindlich vor mir und wir verabschieden uns, bis
zu einem telefonat.
viktoria eilt davon und ich frage mich, ob sie ihren freien abend heute
noch einholt. der wartet nach all dem stadtfahren irgendwo dort, wo sie
sagt - wo zeit ist, die [er]zählt.
[zum schluss]
so eine art zeit steckt in diesen zeilen. die von der zeit anderer und
der begegnung mit ihnen und der auseinandersetzung in ihr.
auch katja und elena und viktoria sind sich begegnet - über das auge des
fotografen. und über diese worte, zwischen diesen abschnitten. die gespräche
entwickelten schnell eine ebene - die beim weggehen fast gar nicht glauben
ließ, dass es das erste mal war und angesichts dessen gar nicht deutlich
wird, dass es eine begegnung nur für dieses eine textliche muster war.
mehrere stunden eines gespräches eröffneten ein stück weit die sicht auf
diese drei modemacherinnen.
letztendlich bleibt es ein fragment.
so viele fragen, die sich erst jetzt ergeben, aus der begegnung und dem
geweckten interesse daran, aufzuspüren, was menschen mit modischen affinitäten
und fernen ursprüngen neben und mit anderen leben. und was man womöglich
studienfach an studienfach[-tür] erst auf [um-]wegen entdeckt.
text und design: wibx
archive von wibx:
Lena
Kvadrat / artpoint / wibx
wiederkehr.
neue einkehr./ eine reise nach sankt petersburg / wibx
ein
einblick. ein ausblick. geblickte momente / wibx
einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx
Archiv:
36.
Yvonne Büdenhölzer, Leiterin des Theatertreffens, über das bedeutendste
Theaterfestival in Deutschland
35.
Gereon Sievernich: Das Kunstwerk entsteht erst im Auge des Betrachters
34.
Thomas Oberender: Die Gesellschaft kann und muss lernen sich zu streiten
33.
Sommer in russischer Provinz / Olga Schtyrkina
32.
Ein Semester in St. Petersburg / Claudia Jutte
31.
Herr Ober, das Salz bitte! / Rezension von Philipp Goll
30.
einshochzwei ist dreihochsternchen / wibx
29.
Ein Semester in St. Petersburg von Claudia Jutte
28.
Berlinskij Episod. Eine Hommage an Berlin, gut gekleidetet deutsche Männer
und: das Lachen. Von Philipp Goll
27.
Merle Hilbk "Sibirski Punk" : Ein Sommerblues von Anna Brixa
26.
ein einblick. ein ausblick. geblickte momente/Mode in St. Petersburg / wibx
25.
wiederkehr. neue einkehr/ eine reise nach sankt petersburg / wibx
24.
Über den heroischen Slam ein paar Worte...Kritik einer Zuschauerin. Von Natalja
Fedorowa (auf russisch)
23.
Lena Kvadrat / artpoint / wibx
22.
Sonne für die Ohren - Rezension zum Album "Na svjazi" von Markscheider Kunst
von Anton Zykov
21.
Der Russe - Ein Porträt von Anton Zykov.
20.
Töne des Untergrunds - Russische Straßenmusikanten in Berlin von
Anton Zykov.
19.
Banja, Wobla und Weniki oder eine Gebrauchsanweisung zur russischen Sauna von
Mariana Kuzmina.
18.
Der deutsche Gentleman ein Mythos oder: können russische Frauen und deutsche
Männer zueinander finden?, von Julia Harke
17.
Literaturkritik von Twerdislaw Zarubin
(auf russisch)
16.
"Grüne Woche" (2006) von Mariana Kuzmina
(auf russisch)
15.
Kann ich dir helfen, Bruder? Gedanken zur russischen Brüderlichkeit von
Julia Harke
14.1.
Das Russen ABC für Berliner
14.
Briefe aus Nizhnij Novgorod von Daniela Ließ
13.
Wen der Osten schön macht oder warum russische Frauen besser aussehen von
Julia Harke
12.
Gespräch mit dem Regisseur Egor Konchalowsky von Anja Wilhelmi
(auf russisch)
11.
Archive Agent-007
(auf russisch)
10.
Kunstherbst 2005 (auf russisch)
09.
Leben im Wohnheim Multi-Kulti. Ein Erfahrungsbericht aus Frankfurt/Oder von
Claudia Jutte
08.
Offener "Russischer Slam" in Berlin! (auf russisch)
07.
Licht und Farbe in der Russischen Avantgarde (auf russisch)
06.
Art Forum 2004 (auf russisch)
05.
Die Russischen Filme auf der Berlinale 2005 von Matthias Müller-Lentrodt
04.
Gespräch mit dem Architekten Sergei Tchoban (auf deutsch) (auf
russisch)
03.
Gespräch mit dem Fotografen Boris Michajlov
02.
Eine Art Reisetagebuch von Sophie Hofmann
01.
Mit der Schauspielerin Irina Potapenko sprach Tim-Lorenz Wurr.
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