Liebe Leser/innen,
als russisches Onlineportal wollen wir
natürlich nicht nur vielen russischsprachigen Einwohnern in der
Hauptstadt eine Hilfe sein und Unterstützung geben, sondern sind
in erster Linie auch an dem Kulturaustausch zwischen Deutschland
und Russland interessiert.
Deshalb fragen wir uns nicht nur, was die russischen Bewohner unserer
Stadt bewegt, sondern auch, wie Deutsche die Kultur in Russland
erleben.
Wir freuen uns daher, Euch für die nächsten zehn Monate an dieser
Stelle einen Einblick in das Tagebuch einer deutschen Studentin
zu geben, die momentan ihr Auslandsstudium in Russland absolviert
und uns in regelmäßigen Abständen von ihrem Leben dort berichten
wird.
Was macht einen Russen aus? Wie definiert
sich ein Deutscher in der fremden Kultur? Mit welchen Alltagsschwierigkeiten
hat man als Ausländer in Russland zu kämpfen?
Diesen und vielen anderen Fragen werden wir an dieser Stelle nachgehen
und Ihr seid herzlich zu diesem Kulturaustausch eingeladen.
Eure Meinungen, Ratschläge oder Anmerkungen zu den Tagebucheinträgen
nehmen wir gerne entgegen und leiten sie gegebenenfalls an unsere
Korrespondentin weiter.
1. Brief aus
Nizhnij Novgorod
Nach sechs Semestern an der Uni wollte
ich nicht mehr nur erahnen oder aus Büchern saugen, was Russland
mit seiner Sprache und Kultur ausmacht, sondern mich endlich einmal
selbst in den Osten begeben, um das Land und seine Menschen persönlich
kennenzulernen.
Mit viel Mühe und Willenskraft ist es
mir gelungen, vom Deutschen Akademischen Austauschdienst ein Jahresstipendium
für ein Studienjahr in Russland zu erhalten.
Die Wahl meines Studienortes fiel auf Nizhnij Novgorod und die Staatliche
Lobačevskij Universität. Zum einen wollte ich die Großstädte
Moskau und St. Petersburg meiden und fühlte mich von der Zentralrussischen
Landschaft angezogen. Zum anderen interessiere ich mich sehr für
die Geschichte Nizhnijs, da die Stadt mit ihrem Handelscharakter
schon früh früh für deutsch-russische Beziehungen stand. Auch die
Verbundenheit mit dem Schriftsteller Gorki und das nahgelegene väterliche
Gut Boldino des berühmten russischen Dichters Puschkin führten letztendlich
zu dieser Entscheidung.
Durch die fast einjährige Vorbereitung
meines Auslandsstudiums fiel es mir leichter, mich seelisch auf
zehn Monate alleine in einem fremden Land einzustellen. Um ehrlich
zu sein, war es für mich ein großer Schritt, in Deutschland
alles aufzugeben und Freunde und Bekannte für längere Zeit zu verabschieden.
Doch die Vorfreude und Hoffnung auf ein wunderschönes Jahr in Russland
haben die Trauer einigermaßen in Grenzen gehalten.
Der Auslandsaufenthalt bietet mir nicht nur im Sinne meines Studiums
eine große Chance, sondern auch, um mich persönlich weiterzuentwickeln
und Erfahrungen zu sammeln.
Inzwischen bin ich nun seit zwei Wochen
hier und bereue es kein bisschen, diesen Schritt gegangen zu sein.
Denn einen großen Kulturschock habe ich eigentlich nicht erlebt.
Durch einen dreiwöchigen Aufenthalt in St. Petersburg im Sommer
2003 hatte ich zumindest eine Ahnung, worauf ich mich da einlasse.
Somit war ich bestens vorbereitet, gleich am Flughafen bei der Passkontrolle
auf die Launen der russischen Beamten zu stoßen, die mich nur ungern
als die beschriebene Person im Reisepass identifizieren wollten.
So musste ich mich von links nach rechts drehen und versuchen, wie
auf einem Foto von vor drei Jahren auszusehen. Mit meinen unsicher
gestotterten Sätzen auf Russisch und dem Versuch zu erklären, dass
ich als deutsche Studentin hier die Sprache lernen will, ließen
sie mich nach 25 Minuten dann doch passieren.
Am Flughafen wurde ich herzlich von meiner
Gastfamilie empfangen und erlebte meine erste Autofahrt in der Stadt.
Nachdem ich bald darauf als Fußgängerin unterwegs war, muss ich
sagen, dass man hier so oder so gefährlich im Straßenverkehr lebt.
Ampeln oder allgemeine Regelungen gelten hier eher weniger. Ich
hab auch so den Eindruck, dass es fast genauso viele Autos wie Einwohner
in Nizhnij gibt. Mit fast zwei Millionen Menschen ist die Stadt
doch größer als ich angenommen habe. Sie wird von ihren Bewohnern
auch als „dritte Hauptstadt Russlands“ oder „Hauptstadt der Wolga“
angesehen. Am Fuße der Stadt fließt die Oka mit der Wolga zusammen.
Für mich ist das eindeutig die schönste Sehenswürdigkeit der Stadt,
die man am besten von der Kremlmauer aus betrachten kann. Das Erste,
was ich somit hier als Deutsche gelernt habe, ist, den Rhein oder
die Elbe als „kleinen Fluss“ zu bezeichnen. Und im Anschluss daran,
versteht sich im russischen Sinn alles, was näher als 500 Kilometer
entfernt liegt, als „um die Ecke gelegen“.
Herzliche Grüße aus Nizhnij,
Daniela Ließ.
September 2005
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