Zeitungsladen. © Daniela Ließ

13. Brief aus Nizhnij

Die XX. Olympischen Winterspiele haben vor kurzem sicher nicht nur hier in Russland die Menschen in Atem gehalten. Für mich war es sehr beeindruckend und interessant, ein derart großes Sportereignis einmal aus der Sicht eines anderen Landes zu erleben. Es war erstaunlich, dass der Sport sogar unter den modebewussten 17-jährigen Studentinnen zum Thema wurde und selbst nachts fast jeder die Auftritte der russischen Sportler im Fernsehen verfolgte. Ein objektives Gespräch mit Russen über Wettkämpfe mit Beteiligung ihres Landes zu führen ist jedoch kaum möglich. Mir ist schnell bewusst geworden, dass der Nationalstolz in Russland vor allem auch durch den Sport nach außen getragen wird. Die russischen Sportler besitzen im Volk einen überaus hohen Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad und bekunden in Interviews auffallend oft die Liebe und den Stolz zu ihrem Vaterland. Auch anhand der Fernsehbilder und Kommentare war der Patriotismus deutlich zu spüren. Die sportlichen Erfolge Russlands (vor allem im Eiskunstlaufen) konnte man sich in unzähligen Wiederholungen anschauen und jedes Mal wieder den sich dabei fast überschlagenden Stimmen der Kommentatoren lauschen.

Fernseher. . © Daniela Ließ

Während der Olympischen Winterspiele haben die Russen damit sicher noch mehr Zeit vor dem Fernseher verbracht als ohnehin schon. Es ist unleugbar, dass das Fernsehen in Russland in der Medienrangliste ganz oben steht. Dafür spricht ebenso, dass es in jedem Haushalt in der Regel mehr als nur ein TV-Gerät gibt und oft sogar die Küche damit ausgestattet ist. Was die Anzahl und Vielfalt der Kanäle sowie Häufigkeit der Werbeblöcke betrifft, unterscheidet sich das russische Fernsehen meiner Meinung nach im Wesentlichen nicht großartig vom deutschen. Auffällig ist unter anderem nur die hohe Präsenz von Gewalt im TV-Programm, die man schonungslos von morgens bis abends antreffen kann.

Küchenfernseher. © Daniela Ließ

„In unserem Fernsehen herrscht absolut keine Kultur“, ist eine der leider wenigen kritischen Stimmen, die ich neulich von einem Dozenten in einer Vorlesung vernahm. Sein Zitat trifft in meinen Augen auch auf die Art der Berichterstattung in den Nachrichtensendungen zu. Für mich ist es immer wieder ein Schock, wenn hier Nahaufnahmen von Schießereien, Kriegsschauplätzen, blutverschmierten Verletzten oder sogar Leichen im Fernsehen gezeigt werden. Eine Bildzensur wie in Deutschland scheint in Russland nicht zu existieren. Das halte ich einerseits für moralisch sehr abstoßend, bekomme aber andererseits durch die Dokumentationen erst jetzt eine wirkliche Vorstellung, was sich beispielsweise tagtäglich in den Kriegsgebieten abspielt.

Radio. © Daniela Ließ

Ebenso auffällig bei Nachrichtensendungen ist die Tatsache, dass die Berichterstattungen über die politischen Tätigkeiten des russischen Präsidenten einen vergleichsweise sehr großen Raum einnehmen. Putin ist fast jeden Tag im Fernsehen zu sehen, wobei seinen zahlreichen Treffen in Moskau mit anderen Ministern oder Politikern teilweise bis zu fünf Minuten Sendezeit verschafft werden. Auch dies lässt offen erkennen, dass das Fernsehen in Russland in der Staatsmacht ist und die Medienfreiheit aus meiner Sicht hier nach wie vor ein Problem bleibt.
Das Fernsehen ist bei den Russen jedoch nicht nur zu Unterhaltungszwecken sehr beliebt, sondern erfüllt außerdem eine Informationsfunktion über aktuelle Ereignisse. Das führt unter anderem zu meiner Beobachtung, dass die Lektüre einer seriösen Tageszeitung hier weniger verbreitet ist, sondern vielmehr Wochen- oder Monatszeitschriften bevorzugt werden. Durch das breite Angebot der Kioske kann man erkennen, dass die insgesamt geschätzten 26.000 Zeitungen und Zeitschriften in Russland alle nur denkbaren Interessensgebiete der Leser abdecken und es vor allem viele ausländische Hochglanzmagazine auf Russisch gibt.

Unizeitung. © Daniela Ließ

Zu den meistgelesensten Zeitungen in Nizhnij gehört eindeutig die „Komsomol’skaja Pravda“, die im Gegensatz zu ihrem früheren seriösen Charakter heute mit der deutschen „Bildzeitung“ vergleichbar ist.
Ich muss ehrlich sagen, dass ich leider in der Öffentlichkeit kaum noch jemanden mit einer Zeitung oder einem Buch in der Hand sehe und im einst betitelten „Leseland Russland“ bedauerlicherweise scheinbar damit der gleiche Trend wie in Deutschland eingesetzt hat, obwohl die vielen Buchläden in der Stadt eigentlich nicht dafür sprechen.

Was mich in der russischen Medienlandschaft dagegen sehr beeindruckt, ist die meines Erachtens nach hohe Qualität der Radiosendungen. Während diese in Deutschland den Hörern im Allgemeinen zu musischen Unterhaltungszwecken dienen, obliegt dem Radio in Russland zusätzlich ein weitaus höherer Anspruch, bei dem vor allem die Informationsfunktion im Vordergrund steht. Viele Sender bestehen hier fast ausschließlich aus interessanten Berichterstattungen tagesaktueller, kultureller oder allgemeiner Art und beinhalten kaum kommerzielle Werbung. Interessant ist auch, dass noch aus alten Zeiten fast ausnahmslos alle russischen Haushalte und sogar viele Hotelzimmer mit einem Radiogerät ausgestattet sind, das den meist einzigen Empfang des Staatssenders „Radio Rossija“ garantiert. Vergleichbar mit den deutschen GEZ-Gebühren verpflichtet das allerdings bis heute automatisch monatlich zu einem Entgelt von 15 Rubeln (knapp 50 Cent).

Zusammenfluss . © Daniela Ließ

Im Gegensatz zur weitverbreiteten Nutzung des Internets in Deutschland erfährt dieses Medium in Russland zum Großteil unter der breiten Bevölkerung bisher noch wenig Beachtung, was jedoch hauptsächlich an fehlenden Computerkenntnissen und der technischen Ausstattung liegt. Ich habe hier Studierende getroffen, die bisher über wenig bis gar keine Erfahrungen mit dem Internet verfügen. Durch die geschichtliche Entwicklung und wirtschaftliche Situation des Landes erweist sich das für mich jedoch als vollkommen logisch und sollte aus westeuropäischer Sicht deshalb nicht vorschnell verurteilt werden. Ich bin mir sicher, dass die Möglichkeiten der Internetnutzung in Russland in den nächsten Jahren verstärkt zunehmen werden, da bisher nicht das Interesse, sondern vielmehr die nötigen finanziellen Mittel fehlen. In Moskau, Petersburg und auch in Nizhnij gibt es schon einige moderne Internetcafes, die auf diese Entwicklung hindeuten.

Viele Grüße aus Russland,
Daniela Ließ

März 2006
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