15. Brief aus Nizhnij
Genauso interessant und vielfältig wie die Kultur des Landes ist
für mich inzwischen auch die russische Küche. Während viele Gerichte
hierzulande vergleichsweise wie kulinarische Denkmäler hervorragen,
kann ich die mir oft gestellte Frage nach dem deutschen Nationalgericht
dagegen nur schwer beantworten. Wie ich festgestellt habe, stehen
in Russland Geschichte, Traditionen und Kultur auch in Bezug auf
die Ess- und Trinkgewohnheiten in einem engen Zusammenhang, der
für mich in gewisser Weise auch in diesem Bereich den Nationalstolz
des Volkes hervorkehrt.
Die russische Küche unterscheidet sich von der europäischen vor
allem durch ihre große Geschmacksvielfalt sowie die andersartige
Esskultur, die für meinen Magen am Anfang schon ein bisschen gewöhnungsbedürftig
war.
Universam. © Daniela Ließ
Die Russen bevorzugen in der Regel ein warmes Frühstück. Dies
hängt einerseits mit dem üblichen langen und anstrengenden Arbeitstag
zusammen. Andererseits gibt es nicht überall eine Mensa bzw. die
Gelegenheit, ein warmes Mittagessen zu sich zu nehmen. Zu einem
russischen Frühstück gehören neben Kaffee oder Tee meist Würstchen,
Omelett, Bratkartoffeln sowie die berühmte Kascha. Diese gibt es
in unterschiedlichen Varianten als Art Haferbrei, Milchreis, Grießbrei
oder Buchweizengrütze und ist besonders als Kinderspeise beliebt.
Das Mittagessen ist in Russland gewöhnlich zeitlich auf den späten
Nachmittag bzw. nach Arbeitsschluss angelegt, so dass ein Abendbrot
im europäischen Sinne in Russland weniger verbreitet ist. Allerdings
haben hier auch viele Geschäfte zwischen 14 Uhr bis 15 Uhr für eine
Mittagspause geschlossen.
Eisladen. © Daniela Ließ
Zu einer klassischen russischen Hauptmahlzeit zählen vor allem
Suppengerichte, die von den Russen besonders im Winter sehr geschätzt
werden. Die beliebtesten Suppen sind Schi (Kohlsuppe), Borstsch
(Suppe aus roten Rüben) oder Soljanka, die wie fast alle Gerichte
in Russland mit Brot gegessen werden. Außerdem gehört die Kartoffel
zu einem der verbreitetesten Grundnahrungsmittel. Reis- und Nudelspeisen
werden hinsichtlich dessen weniger zubereitet. Eine Ausnahme bilden
jedoch zweifellos Pelmeni (Nudeln mit Fleischfüllung), die zu einem
der klassischen russischen Nationalgerichte gehören. Diese werden
vor allem im kalten Sibirien bevorzugt, da man sie im eingefrorenen
Zustand lange lagern kann und zum Verzehr nur kurz in Wasser kochen
muss. Die oft charakteristische Einfachheit der russischen Küche
kommt auch in den Bliny (russische Eierkuchen) zum Ausdruck, die
schnell und problemlos zubereitet werden können. In der Regel isst
man russische Bliny mit Smetana (saure Sahne) oder Marmelade, wobei
je nach Belieben jedoch auch andere Beilagen möglich sind. Zu Festtagen
oder besonderen Anlässen gelten Bliny mit Kaviar in Russland sogar
als besondere Delikatesse. Variantenreich sind ebenso die Füllungen
der russischen Piroschki, die gewöhnlich jedoch aus Kohl oder Fleisch
bestehen. Diese kleinen oder auch großen Pasteten sind meist als
Zwischenmahlzeit gedacht und werden oft auf der Straße in kleinen
Imbissen verkauft. Zwar habe ich noch keinen Dönerladen gesehen,
aber Sushibars, Pizzerien und Mc Donalds erfreuen sich mittlerweile
auch unter einigen Russen großer Beliebtheit.
Markt.
© Daniela Ließ
Entsprechend dem russischen Charakter mit seiner Gastfreundlichkeit
ist es jedoch üblich, sich zu besonderen Anlässen zu Hause in geselliger
Runde am reich gedeckten Tisch zu versammeln. Wodka, Wein oder andere
alkoholische Getränke fehlen dabei selten, wobei in Russland traditionell
nur mit einem Toast bzw. nie grundlos angestoßen wird.
Mc Donalds. © Daniela Ließ
Ein typisches Festtagsmenü macht hierzulande immer mehr als satt
und besteht in der Regel zuerst aus unterschiedlichen Salaten, im
zweiten Gang aus einer Suppe, im Anschluss aus einem Hauptgericht
und wird mit einer süßen Nachspeise abgeschlossen. Die russische
Konditorei bietet eine unglaubliche Vielfalt, wobei es mir neben
den Pralinen vor allem das leckere Gebäck angetan hat. Dies isst
man gewöhnlich zum Tee, der in Russland immer erst nach dem Essen
serviert wird. Wie ich festgestellt habe, trinken die Russen ihren
Tee jedoch kaum noch aus dem Samowar, sondern bevorzugen der Bequemlichkeit
halber inzwischen auch lieber Beutel. Die traditionelle ganzjährige
Beliebtheit der russischen Eisspeisen ist allerdings erhalten geblieben,
so dass auch im Winter die Eiskioske auf der Straße geöffnet haben.
Kascha
gretschnevaja. © Daniela Ließ
Trotz der vielen Leckereien in Russland trifft man unter der russischen
Bevölkerung jedoch nur wenige dicke oder übergewichtige Menschen,
was aber nicht nur mit dem Schönheitsideal, sondern meiner Meinung
nach ebenso mit den härteren Lebens- und Klimabedingungen in Russland
zusammenhängt. Dementsprechend achten die Russen auf eine zweckmäßige,
gesunde Ernährung und sind auch in der Produktauswahl sehr kritisch.
Kascha
Ovsjanaja. © Daniela Ließ
Als Einkaufsmöglichkeit sind unter der Bevölkerung besonders die
Märkte sehr beliebt, die jeden Tag geöffnet haben und nicht nur
frische Lebensmittel, sondern auch Schuhe, Bekleidung, Haushaltswaren
und vieles mehr anbieten. Im Gegensatz dazu gibt es aber auch großflächige
Lebensmittelgeschäfte mit Selbstbedienung, die sich von den deutschen
Großhandelsketten kaum unterscheiden.
Logo der stadteigenen Konditorei. © Daniela
Ließ
Klassisch für Russland sind jedoch kleine Läden, die oft rund um
die Uhr geöffnet haben bzw. Kioske, die hauptsächlich Zigaretten,
Schokolade und alkoholische Getränke anbieten. Die meisten Verkäuferinnen
zeichnen sich hierzulande allerdings durch eine fast schon charakteristische
Unhöflichkeit aus, die oft viel Nerven und Geduld kostet. Viel freundlicher
sind dagegen die meist älteren Leute, die auf dem Markt oder der
Straße mit Eifer ihr eigenangebautes Gemüse oder ihre selbstgekochte
Marmelade anpreisen bzw. mit Fischen, Nüssen, Blumen oder Strickwaren
handeln.
Piroschok.
© Daniela Ließ
Viele Grüße aus dem schönen Russland,
Daniela Ließ
März 2006
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