4. Brief aus Nizhnij
Neben vielen schönen Spaziergängen am Wolgaufer habe ich das wunderbare
Oktoberwetter auch genutzt, um mir die Umgebung von Nizhnij einmal
näher anzuschauen und mich in andere historische und literarische
bedeutsame russische Städte zu begeben. Die Ziele meiner Reisen
waren Boldino sowie Susdal und Vladimir. An zwei Sonntagen habe
ich mich einer Touristengruppe angeschlossen und bin mit dem Bus
durch die zentralrussische Landschaft gefahren, um auf den Spuren
der Landes- und Kulturgeschichte zu wandeln.
Boldino
© Daniela Ließ
Im Nachhinein muss ich sagen, dass jeder Ausflug für mich wie eine
kleine Urlaubsreise war und es außerdem auch sehr angenehm war,
einmal dem anstrengenden Stadtleben in Nizhnij für einen Tag entfliehen
zu können...
Meine erste Fahrt ging in die kleine Stadt Bol’schoe Boldino,
die etwa 240 Kilometer bzw. dreieinhalb Autostunden südöstlich von
Nizhnij liegt. Berühmt geworden ist sie durch den russischen Nationaldichter
Puschkin, dessen väterliches Landgut sich dort befindet.
Museum,
Boldino © Daniela Ließ
Im Herbst 1830 hatte Puschkin während seines dreimonatigen Aufenthaltes
in Boldino seine intensivste Schaffensphase und schrieb bzw. vollendete
dort viele seiner bedeutendsten Werke. Dies ist als das „Wunder
von Boldino“ in die russische Literaturgeschichte eingegangen. Das
ehemalige Wohnhaus, gelegen in einem kleinen Park mit See, zieht
als Museum daher heute viele Besucher und vor allem Schulklassen
an. In den liebevoll gestalteten Räumen konnte ich irgendwie noch
immer den Geist und die literarische Schaffenskraft und –freude
Puschkins spüren. Auch der Park mit der berühmten kleinen weißen
Brücke und den ehemaligen Bauernhäusern lud zum Besichtigen und
Verweilen ein und weckte in mir richtig Lust zur Puschkinlektüre.
Was mich trotz authentischer Herbststimmung allerdings ein wenig
in Boldino gestört hat, waren die Menschenmassen, die sich auf dem
Gelände tummelten. Die meisten von ihnen ließen mit ihrem unangemessenem
Verhalten in meinen Augen wenig Sinn für den literarisch berühmten
Ort und seine interessante Geschichte verlauten.
Leider blieb ich auch bei meiner zweiten Tagesreise nach Susdal
und Vladimir nicht von russischen Touristen verschont, die nur auf
der Jagd nach dem schönsten Souvenir und Foto waren. Doch ich glaube,
das ist leider nicht nur hier in Russland inzwischen so üblich...
Uspenskij
Sobor, Vladimir © Daniela Ließ
Ich muss auch sagen, dass ein einziger Tag für einen Ausflug nach
Susdal und Vladimir mit der ganzen Fülle an Sehenswertem bei weitem
nicht ausreicht. Dennoch war die Fahrt sehr beeindruckend für mich,
da Susdal und Vladimir zum historischen Kern Russlands gehören und
ich einen Besuch dieser Städte nur empfehlen kann! Ich bin in Susdal
kaum aus dem Staunen gekommen, denn ein beeindruckendes Kirchenbauwerk
reiht sich dort an das nächste. In Vladimir hat mir besonders die
Uspenskij Kathedrale gefallen, die sich direkt im Stadtzentrum befindet
und ein klassisches Werk der altrussischen Baukunst darstellt.
Uspenskij
Sobor, Vladimir © Daniela Ließ
Die ganze Fülle der gigantischen Architekturdenkmäler dieser beiden
Städte hat mich ziemlich tief beeindruckt und ich habe mir fest
vorgenommen, vielleicht im Frühjahr noch einmal dort hinzufahren,
um in Ruhe zu gucken und zu staunen.
Klosterkirche,
Susdal © Daniela Ließ
Auf der Fahrt nach Boldino, Susdal und Vladimir konnte ich auch
einen Einblick in die zentralrussische Landschaft rings um Nizhnij
bekommen, für die vor allem Birken- und Mischwälder sowie riesige
Felder charakteristisch sind. Oft wirkt sie aber auch sehr grau
und ausgedörrt. Dennoch ließ mich der Anblick der Natur zumindest
ein bisschen die legendären geografischen Weiten Russlands erahnen.
Kreml,
Susdal © Daniela Ließ
Eine besondere Begegnung mit den russischen landschaftlichen Begebenheiten
hatte ich allerdings auf der Busfahrt nach Susdal. Bei strahlend
blauem Himmel befanden wir uns etwa 30 Kilometer vor der Stadt,
als plötzlich in einem Waldstück ein dermaßen dichter Rauch aufkam,
dass wirklich fast nichts mehr zu sehen war und der Bus über eine
Stunde lang nur im langsamsten Schneckentempo vorwärts kam. Ich
hab so was wirklich noch nie erlebt und mich in Gedanken schon auf
eine abenteuerliche Nacht im Wald eingestellt und meinen Proviantvorrat
überprüft.
Blick
auf Landschaft um Vladimir © Daniela Ließ
Die Ursache für den Rauch war einer der vielen Torfbrände, die
vor kurzem im Waldgebiet um Moskau und Nizhnij wüteten und neben
zahlreichen Verkehrsunfällen auch enorme Umweltschäden hinterlassen
haben. Der Regen der letzten Tage hat die Brände jedoch inzwischen
fast eingedämmt und die Gemüter wieder etwas beruhigt.
Viele Grüße nach Deutschland,
Daniela Ließ.
November 2005
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